Ennen - 2019 - 01

Ennen, J. R., M. L. Hoffacker, W. Selman, C. Murray, J. Godwin, R. A. Brown & M. Agha (2019): The Effect of Environmental Conditions on Body Size and Shape of a Freshwater Vertebrate. – Copeia 107(3): 550-559.

Der Einfluss der Umweltbedingungen auf Körpergröße und Form bei einem Süßwasserwirbeltier.

DOI: 10.1643/CG-18-171 ➚

Phänotypische Variationen innerhalb einer Art können auf genetischen Unterschieden und unterschiedlichen Umweltbedingungen zwischen den einzelnen Populationen und deren Habitaten beruhen. Die Beziehung zwischen Umweltbedingungen und Phänotypausprägung können das Evolutionspotential beeinflussen, möglicherweise wird dadurch auch die Speziationsrate oder das Abwandern in andere ökologische Nischen induziert. Hier verwendeten wir einen geometrisch-morphologischen Ansatz um die Abweichungen bei der Morphologie der Panzerform dahingehend zu untersuchen ob letztere durch den Standort innerhalb des Flusssytems (gesamtes Zufluss-und Hauptflusssystem) bei der Süßwasserschildkröte, Graptemys nigrinoda beeinflusst wird. Das Abflussareal wird dabei als ein hierarchisch angeordnetes System betrachtet welches die lokal vorherrschenden hydraulischen Strömungsbedingungen in Abhängigkeit zur Flussform bestimmt und wir stellten die Hypothese auf, dass diese sich innerhalb des Flusssystems verändernden hydraulischen Fließbedingungen den physikalischen Reiz zur Ausbildung unterschiedlicher Panzerformen darstellen. Zusätzlich untersuchten wir das Ausmaß der Salinität (Salz- oder Mineralgehalt), die eventuell auch morphologische Abweichungen in den küstennahen Flussmündungen fördern könnten. Wir nutzten dazu räumliche Regressionsmodelle um zu erfassen wie die geographischen Unterschiede, Unterschiede bei der Carapaxlänge und der Panzerhöhe innerhalb des gesamten Abflusssytems und in den Marschlandhabitaten (z. B. Süßwasser versus Brackwasser) bedingen. Wir fanden, dass die Carapaxlänge, die Panzerhöhe und die Carapaxformunterschiede mit der Summe der Flussareale co-variieren und zwar für beide Geschlechter. Die Panzer werden größer und sind höhergewölbt innerhalb der großen Flussareale wobei sie durch eine nach hinten gerichtete Verschiebung (Ausweitung) der Rippen-und Randschildorientierung und einer zusätzlichen medialen Ausweitung bei den Rippenschilden charakterisiert sind. Diese morphologischen Reaktionen als Anpassung an die physikalischen Habitatbedingungen die durch die hydrogeomorphologischen Bedingungen (z. B. Flusskanalmorphologie und Hydrodynamik) eines jeden lokalen Areals vorgegeben sind, sind vorhersagbar und wurden schon für mehrere Schildkrötenspezies beschrieben. Obwohl andere für solche Formveränderungen in Richtung größere und höhere Panzer auch eine Anpassung an Beutegreifer postulierten (z. B. Stärkere Panzerdicke zum Schutz vor dem Durchbeißen), befürworten wir eine alternative Hypothese dahingehend, dass die Schildkröten dadurch Vorteile bei der Bewegung erreichen der Phänotyp mit größeren und höheren Panzern (z. B. größeres Verhältnis Volumen zu Masse) die in lentischen Habitaten eine verbesserte Auftriebskraft und Schwimmkraft mit sich bringen. Allerdings müssen dazu noch weitere Untersuchungen erfolgen. Zudem könnte eine größere Körpergröße einen selektiven Vorteil bei der Besiedlung der ressourcenreicheren Brackwasserhabitate bieten, die auch eine größere Nahrungsdiversität bereitstellen. Weil diese Phänotypen (flachere Panzer und größere Körpergröße) mit einer verbesserten Bewegungsfähigkeit assoziiert sind lassen unsere Ergebnisse vermuten, dass der Genfluss sehr deutlich durch distinkte Unterschiede bei den Umweltbedingungen gesteuert wird. Letzteres liefert weitere Beweise für eine fortschreitende Aufrechterhaltung der Aufspaltung zwischen den vermuteten Unterarten innerhalb des Taxons Graptemys nigrinoda.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine schöne Arbeit die eigentlich auf einer größeren räumlichen Skala für Graptemys nigrinoda gleiches beschreibt wie Lubecke & Wilson (2007) für Actinemys oder auch Snover et al. (2015) in Beziehung zur Temperatur. Letztendlich sind das alles Umweltanpassungen. Solche Umweltanpassungen finden nicht nur innerhalb einer Art oder eines Unter-(Arten)-Komplexes statt, sondern auch zwischen Arten (siehe Scott et al. (2018) und den dortigen Kommentar). Letztendlich sollten auch Anpassungen an Beutegreifer nicht ganz ausgeschlossen werden die auch schnell erfolgen können wie das Beispiel von Wolak et al. (2010) für Diamantschildkröten zeigt. Worauf ich aber hier einmal mehr aufmerksam machen möchte ist die Beobachtung, dass physikalische eigentlich abiotische Faktoren wie Wasserstandshöhe, Fließgeschwindigkeit und Temperatur die Panzerform beeinflussen. Für Landschildkröten sind solche physikalischen Einflüsse nie konsequent untersucht worden aber auch ohne diese Untersuchungen kann man allein aus den Vergleichen für die klimatischen Freilandbedingungen zwischen dem Mediterranraum oder gar Tropen und jenem in Nordeuropa klar feststellen, dass die Temperaturunterschiede einen nicht zu vernachlässigenden physikalischen Faktor darstellen der auch adaptive Formanpassungen bedingen könnte (siehe auch die Kommentare zu Ennen et al., 2014; Lubcke & Wilson, 2007; Snover et al., 2015).

Literatur

Ennen, J. R., M. E. Kalis A. L. Patterson, B. R. Kreiser, J. E. Lovich, J. Godwin & C. P. Qualls (2014): Clinal variation or validation of a subspecies? A case study of the Graptemys nigrinoda complex (Testudines: Emydidae). – Biological Journal of the Linnean Society 111(4): 810-822 oder Abstract-Archiv.

Lubcke, G. M. & D. S. Wilson (2007): Variation in shell morphology of the Western Pond Turtle (Actinemys marmorata Baird and Girard) from three aquatic habitats in northern California. – Journal of Herpetology 41(1): 107-114 oder Abstract-Archiv.

Scott, P. A., T. C. Glenn & L. J. Rissler (2018): Formation of a recent hybrid zone offers insight to the geographic puzzle and maintenance of species boundaries in musk turtles. – Molecular Ecology 28(4): 761-771 oder Abstract-Archiv.

Snover, M. L., M. J. Adams, D. Ashton, J. B. Bettaso & H. H. Welsh Jr. (2015): Evidence of counter-gradient growth in western pond turtles (Actinemys marmorata) across thermal gradients. – Freshwater Biology 60(9): 1944-1963 oder Abstract-Archiv.

Wolak, M. E., G. W. Gilchrist, V. A. Ruzicka, D. M. Nally & R. M. Chambers (2010): A Contemporary, Sex-Limited Change in Body Size of an Estuarine Turtle in Response to Commercial Fishing. – Conservation Biology 24(5): 1268-1277 oder Abstract-Archiv.