Madagassische Schienenschildkröte, Erymnochelys madagascariensis, Adultes Weibchen – © Lance Woolaver, Durral Wildlive Conservation trust

White - 2022 - 01

White, N. F. D., H. Mennell, G. Power, D. Edwards, L. Chrimes, L. Woolaver, J. Velosoa, Randriamahita, R. Mozavelo, T. H. Rafeliarisoa, G. Kuchling, J. Lopez, E. Bekarany, N. Charles, R. P. Young, R. Lewis, M. W. Bruford & P. Orozco-terWengel (2022): A population genetic analysis of the Critically Endangered Madagascar big-headed turtle, Erymnochelys madagascariensis across captive and wild populations. – Scientific Reports 12(1): 8740.

Eine populationsgenetische Analyse bei der hochgradig bedrohten Madagassische Schienenschildkröte, Erymnochelys madagascariensis, für in Gefangenschaft gehaltene und wildlebende Populationen.

DOI: 10.1038/s41598-022-12422-y ➚

Madagassische Schienenschildkröte, Erymnochelys madagascariensis, – © Lance Woolaver, Durral Wildlive Conservation trust
Madagassische Schienenschildkröte,
Erymnochelys madagascariensis,
Adultes Weibchen
© Lance Woolaver, Durral Wildlive Conservation trust

Erymnochelys madagascariensis ist eine hochgradig gefährdete Süßwasserschildkröte die endemisch auf Madagaskar vorkommt. Durch menschliche Aktivitäten wurden die noch wildlebenden Populationen während des letzten Jahrhunderts um etwa 70 % reduziert, so dass effektive Erhaltungsmaßnahmen ein wesentlicher Bestandteil für deren weitere Existenz ist. Die Haltung und Zucht in menschlicher Obhut wurde aufgenommen um die ausgebeuteten Populationen im südlichen Teil des Ankarafantsika Nationalparks (ANP) zu verstärken. Allerdings geschah letzteres zu einer Zeit bevor genetische Daten für E. madagascariensis bekannt waren. Deshalb ist bislang unbekannt wieviel der natürlich vorhandenen Populationsdiversität bei der Population die sich in menschlicher Obhut befindet noch vorhanden ist. Wir verwendeten hier acht Mikrosatellitenloki und Fragmente von zwei mitochondrialen Genen um die genetische Struktur der noch wildlebenden E. madagascariensis zu erfassen. Die in Gefangenschaft nachgezogenen Schildkröten wurden dann mit den wildlebenden Populationen verglichen, um so die Größenordnung der Repräsentation der ursprünglichen genetischen Struktur bei dieser ex situ Erhaltungsstrategie für den ANP festzustellen. Es wurden sechs Mikrosatellitencluster, zehn Cytochrom b und neun COI-Haplotypen bei den noch wildlebenden Populationen identifiziert wobei sich eine hohe genetische Verschiedenheit zwischen den Populationen der zwei Gruppen aus zwei Wasserscheiden herauskristallisierten. Bei den in menschlicher Obhut nachgezogenen Individuen waren drei der hier durch Probennahmen in der Wildnis ermittelten sechs Mikrosatellitencluster vorhanden und es wurde nur ein einziger mitochondrialer Haplotyp nachgewiesen wobei letzteres möglicher Weise auf genetische Drift zurückzuführen ist. Um die genetische Strukturrepräsentation zu verbessern sollte die ursprünglich geplante Strategie eines häufigeren Austausches zwischen den Zuchttieren in Gefangenschaft mit jenen aus der im ANP wildlebenden Population revitalisiert werden und es sollten ebenso keine der Nachzuchten (Schlüpflinge oder Juvenile) außerhalb des ANP ausgewildert werden.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun hier haben wir eine Arbeit die wieder einmal mehr darauf verweist wie wichtig es wohl ist heutzutage Arterhaltung im Sinne von gemanagter Natur zu betreiben (siehe dazu auch z.B. Hennessy 2015; 2019). Ebenso wird auch hier auf die wesentlichen Vorteile zur Aufrechterhaltung einer möglichst hohen genetischen Diversität hingewiesen. Bei dieser bislang nur um 70 % reduzierten Bestände sind wohl auch noch genug Individuen in den wilden Populationen vorhanden, so dass man vermeiden möchte, dass sich die Populationen aus der Wasserscheide des ANP mit den davon mehr diversen Populationen der anderen Wasserscheide vermischen. Insofern zeigen sich auch hier Parallelen zu den verschiedensten weltweit durchgeführten Erhaltungsmaßnahmen für Schildkröten (siehe Gallego-García et al., 2021; Hernández-García et al, 2021, Moreno et al., 2022). Allerdings sollten wir aber auch nicht vergessen, dass es sich hier um Erhaltungsbemühungen in einem der ärmsten Länder der Welt handelt (siehe Jones et al., 2019; Symes et al., 2018; Cross et al., 2022 und die dortigen Kommentare). Insofern kann man hier nur hoffen, dass diese Bemühungen sich auch langfristig lohnen, denn wenn wir auf die derzeitige gerade wieder durch die Umstände in der Ukraine entstandene Nahrungsmittelkrise schauen bleibt es mehr als fraglich ob die Bemühungen in diesen armen oder von Flüchtlingsströmen geplagten (z. B. Sahelzone, 200 Millionen mehr an Hungerleidenden, Stand Juni 2022, südliches Madagaskar 1,5 Millionen unterernährt Stand Mai 2022) Ländern fruchten. Wer sollte es dort den Menschen verdenken, wenn sie sich auch an Schildkröten oder deren Habitaten zur Nahrungsgewinnung vergreifen. Wenn wir solche Bemühungen wirklich ernstnehmen wollen müssen wir zügig damit beginnen globaler zu denken und auch aktiv zu handeln (siehe Kommentar zu Stanford et al., 2020). Aber wie wir aktuell gerade wieder erleben scheint der in die Praxis umsetzbare Teil der Intelligenz und Mentalität des Homo s. sapiens dafür noch nicht auszureichen.

Literatur

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Gallego-García, N., S. Caballero & H. B. Shaffer (2021): Are Genomic Updates of Well-Studied Species Worth the Investment for Conservation? A Case Study of the Critically Endangered Magdalena River Turtle. – Journal of Heredity 112(7): 575-589 oder Abstract-Archiv.

Hennessy, E. (2015): The Molecular Turn in Conservation: Genetics, Pristine Nature, and the Rediscovery of an Extinct Species of Galapagos Giant Tortoise. – Annals of the Association of American Geographers 105(1): 87-104 oder Abstract-Archiv.

Hennessy, E. (2019): On the backs of tortoises: Darwin, the Galapagos, and the fate of an evolutionary eden. – Yale University Press: 1-310; DOI: 10.2307/j.ctvqc6h1b ➚.

Hernández-García, J., C. Pedraza-Lara, J. A. Rangel Mendoza & C. E. Zenteno-Ruiz (2021): Population genetics of wild and captive Trachemys venusta (Gray, 1856) (Reptilia: Emydidae) in the Usumacinta river basin in Mexico. – Zoo Biology 40(2): 297-305 oder Abstract-Archiv.

Jones, J. P. G., J. Ratsimbazafy, A. N. Ratsifandrihamanana, J. E. M. Watson, H. T. Andrianandrasana, M. Cabeza, J. E. Cinner, S. M. Goodman, F. Hawkins, R. A. Mittermeier, A. L. Rabearisoa, O. S. Rakotonarivo, J. H. Razafimanahaka, A. R. Razafimpahanana, L. Wilmé & P. C. Wright (2019): Madagascar: Crime threatens biodiversity. – Science 363(6429): 825 oder Abstract-Archiv.

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Symes, W. S., F. L. McGrath, M. Rao & L. R. Carrasco (2018): The gravity of wildlife trade. – Biological Conservation 218: 268-276 oder Abstract-Archiv.

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