Tomonga, M., D. Haraguchi & A. Wilkinson (2023): Slowly walking down to the more food: relative quantity discrimination in African spurred tortoises (Centrochelys sulcata). – Animal Cognition 26(5): 1675-1683.
Das sich langsame Annähern an das größere Futterangebot: Die relative Mengenunterscheidung bei der afrikanischen Spornschildkröte (Centrochelys sulcata).
DOI: 10.1007/s10071-023-01812-y ➚
Man geht davon aus, dass das Vermögen Mengen unterscheiden zu können, einen hohen adaptiven Wert besitzt, da man damit die größere Nahrungsquelle oder eine größere soziale Gruppe auswählen kann. Im Gegensatz zu Säugetieren sind die Prozesse, die dieser Fähigkeit zugrunde liegen, bei Reptilien nur unzureichend verstanden. Diese Studie untersucht hier die Auswirkungen von Mengenverhältnis und numerischer Anzahl in Bezug auf die relative Mengenunterscheidungsfähigkeit bei der afrikanischen Spornschildkröte (Centrochelys sulcata). Um diese Auswirkungen zu erfassen, wurden den Landschildkröten Schalen vorgesetzt, auf denen Stücke ihres bevorzugten Futters lagen, wobei die Futterstücke in allen erdenkbaren Anzahlkombinationen zwischen 1 und 7 angeboten wurden. Die Schildkröten sollten nun die Schale aufsuchen, auf der sie die größere Futtermenge erkannten, wenn sie sich dabei korrekt entschieden haben, erhielten sie ein Stück Futter als Belohnung und Ansporn. Die Ergebnisse zeigten, dass die relative Mengenunterscheidung durch das Verhältnis zwischen der Anzahl der Futterstücke beeinflusst wurde, wobei sich deren Befähigung zur korrekten Mengenunterscheidung verbesserte, wenn sich das Verhältnis in Bezug zur Anzahl der Stücke vergrößerte. Dieser Befund lässt vermuten, dass ein approximatives Anzahlerfassungssystem oder ein analoges Mengenabschätzungssystem diesbezüglich das korrekte Verhalten der Schildkröten kontrolliert. Allerdings, wenn sich die numerische Anzahl vergrößerte, vergrößerte sich auch die Menge der Fehlabschätzungen bei den Schildkröten, was nahelegt, dass das approximative Anzahlerfassungssystem allein dieses Ergebnis nicht erklären kann.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Nun hier wurden zwei mögliche kognitive Verarbeitungs- oder Erfassungsmechanismen getestet, zum einen das approximative Anzahlerfassungssystem oder Verhältnissystem, wobei 4 Stücke mehr als zwei Stücke sind (Verhältnis 2:1) oder 20 Stücke sind mehr als 10 Stücke (Verhältnis auch wieder 2:1) oder im Gegenzug dazu das Objekterfassungssystem bei dem mehrere Objekte individuell erkannt und erfasst werden. Hier kommt es also auf die Anzahl der einzelnen zu erkennenden Objekte und deren Menge an, wobei bekannt ist, dass dabei die Anzahl erfassbarer Objekte begrenzt ist. Wie die Studie klar belegt, können diese Schildkröten eine Mengenunterscheidung hin zur größeren Menge, wie auch schon für andere Arten gezeigt, durchführen. Wenn ich mir aber dazu die Abbildungen in der Arbeit einmal anschaue, dann frage ich mich, ob es dabei nicht auch auf die Anordnung der einzelnen Stücke auf der Schale oder Fläche ankommt. Denn allein die der natürlichen Situation widersprechende Platzierung der Futterstücke auf einer weißen Fläche (Schale) könnte ja die Tiere erst einmal dazu verleiten, die Schale als Einheit zu erfassen, wobei es dann noch dabei darauf ankommt, welche Fläche von der Schale durch Futter bedeckt wird, und zwar unabhängig von deren Anzahl. Hier sollte man doch eigentlich erst einmal testen, ob die Schildkröten zum Beispiel vier dicht nebeneinanderliegende Futterstücke, die nur einen kleinen Flächenanteil der Schale abdecken, von vier weiter auseinanderliegenden Stücken die über eine größere Fläche der Schale verteilt liegen, voneinander unterscheiden würden. Denn in der Natur fallen ja zum Beispiel Früchte auch in unterschiedlicher Formation vom Strauch oder Baum, wobei sie auch nicht durch eine einheitlich weiße Fläche (Schale) begrenzt dargeboten werden, sondern entweder so dicht nebeneinanderliegen, dass sie als Einheit erkannt werden können oder sie liegen so vereinzelt, dass die Tiere tatsächlich zwei dicht nebeneinanderliegende als „Mehr“ als 1 ausmachen können. Insofern halte ich die Information über das Vorhandensein der Fähigkeit Mengen abschätzen zu können und das Erlernen dieser Fähigkeit auch im Experiment zu zeigen für sehr wertvoll, aber man sollte, um zu realistischeren Ergebnissen zu kommen auch realistischere Szenarien testen, denn wie in der Einleitung erwähnt geht es hier um adaptives, also anpassungsfähiges Verhalten und Können und um das zu testen, müsste man eigentlich auch der natürlichen Umwelt angepasste Szenarien anbieten, um zu einer besseren Einordnung dieser Fähigkeiten zu kommen. Zudem bleibt auch die Frage offen, wie Schildkröten die angeordneten Futterstücke erkennen können, da bei ihnen ja beide Augen nicht das gleiche Sichtfeld abdecken wie bei uns, sodass sie eventuell über Kopfbewegungen sich einen entsprechenden mehrdimensionalen Eindruck über die Menge machen müssen. Zumindest dann, wenn z. B. zwei Futterstücke so zueinanderstehen, dass sie nur als eines erkannt werden können. Siehe auch Lin et al., (2024) und Sun et al., (2023) und die dortigen Kommentare.
Literatur
Lin, F.-C., P.-J. L Shaner, M.-Y. Hsieh, M. J. Whiting & S.-M. Lin (2024): Trained quantity discrimination in invasive red-eared slider and a comparison with the native stripe-necked turtle. – Animal Cognition 27(1): 26 oder Abstract-Archiv.
Sun, X., Y. Piao, T. Wang, J. Fu & J. Cui (2023): Keep numbers in view: red-eared sliders (Trachemys scripta elegans) learn to discriminate relative quantities. – Biology Letters 19(7): 20230203 oder Abstract-Archiv.
Galerien
Centrochelys sulcata – Spornschildkröte