Schneider, L., C. R. Ferrara, R. C. Vogt & J. Burger (2011): History of Turtle Exploitation and Management Techniques to Conserve Turtles in the Rio Negro Basin of the Brazilian Amazon. – Chelonian Conservation and Biology 10(1): 149-157.
Die Geschichte der Schildkrötennutzung und Managementtechniken zur Erhaltung der Schildkröten im Rio-Negro-Becken des brasilianischen Amazonas.
DOI: 10.2744/CCB-0848.1 ➚
Obwohl Schildkröten durch das Gesetz in Brasilien sehr gut geschützt sein sollten, werden die Gesetze in einigen Regionen nicht befolgt und in vielen anderen ignoriert. Basierend auf 15 Jahren Arbeit im Rio-Negro-Becken beschreiben wir hier die Geschichte der Schildkrötennutzung in der Region, kommentieren ihren Erhaltungsstatus und schlagen praktisch umsetzbare Erhaltungsalternativen vor, die dazu dienen sollen, stabile Populationen zu schützen.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Das Abstract ist zwar sehr kurz, aber die Arbeit enthält durchaus überdenkenswerte Punkte. Allerdings muss man auch hier davon ausgehen, dass jegliche Schutzmaßnahmen vom sozioökonomischen Wandel in solchen Regionen abhängig sind. Solange hier Menschen unter entsprechender Armut und Hunger leiden, wird wohl an der Situation nichts zu ändern sein. Neben der derzeitigen sozioökonomischen Situation der betroffenen Bevölkerung beschreibt die Arbeit aber sehr anschaulich die Entwicklung einer durch die Indianer praktizierten nachhaltigen Nutzung und der kommerziellen Nutzung, die durch die Europäer später eingeführt wurde. Somit ist die kommerzielle Jagd auf die sechs größten Flussschildkrötenarten seit dem 18 Jahrhundert im Gange, wo auch erstmals von staatlicher Seite her Fisch und Schildkrötenfleisch in eingesalzener Form zur Handelware erklärt wurde. Auch durch die Unterschutzstellung, die offiziell seit 1967 erstmals erfolgte, gab es keine wesentlichen Änderungen, da eine Durchsetzung der Bestimmungen nie effektiv war. So dass heute der illegale Handel mit Wildressourcen nach Rauschgift und Waffen der drittgrößte Markt ist. Wie die Autoren darlegen, gibt es auch in allen Siedlungen entlang der Flusssysteme einen Schwarzmarkt für Schildkröten, weil sie traditionsgemäß eine besondere Nahrung darstellen, die zumindest für bestimmte Feste angesagt ist. Auch die des Öfteren erlaubte nachhaltige Nutzung der Bestände ist oft problematisch, weil eben die Kontrolle kaum gewährleistet ist, so dass es sich dabei eher um eine Möglichkeit handelt, den Handel weiterhin zu ermöglichen als darum ihn effektiv einzuschränken. Siehe dazu auch Jeitner & Jeitner (2011). Jedenfalls sind die Schildkröten lokal vielerorts schon praktisch ausgerottet! Insofern scheinen es immer und weltweit die gleichen Mechanismen zu sein, die zum Artenrückgang und Verlust beitragen. Selbst wir hier in Europa und der EU sind längst nicht soweit, dass wir unsere geschützten Arten wirklich einem strikten Schutz unterziehen, denn ich durfte mir gerade mal wieder Bilder von einer temporären Romasiedlung anschauen, in der man eine sehr große Anzahl von Panzerrückständen gegessener Testudo graeca und T. hermanni gefunden hat und auch dabei handelt es sich nicht nur um Einzelfälle. Allerdings wirken sich wahrscheinlich die großflächigen von der EU genehmigten und subventionierten Rodungen für neue Agrarflächen zum Anbau von Pflanzen zur Biotreibstoffgewinnung noch verheerender aus, da niemand die Zeit hat zu kontrollieren, was alles auf diesen, früher nur als Viehweiden von den Schäfern und Ziegenhirten genutzten Flächen, vorhanden war. Solche Rodungen werden, weil es sich um Nutzflächen handelt, ja auch meist sehr schnell durchgeführt, so dass selbst für Naturschützer keine Zeit bleibt, vorhandene Bestände umzusiedeln, wie das bei offiziell zu genehmigenden Bauvorhaben zumindest noch der Fall ist. Siehe: Bidmon (2011). Da Landwirtschaft selbst in Deutschland wie wohl auch in der EU von der Einhaltung der Naturschutzauflagen weitestgehend ausgenommen ist (siehe dazu Reichholf, 2010) brauchen wir uns auch nicht wirklich wundern warum auch hierzulande viele Schutzmaßnahmen trotz der Anstrengungen kaum Früchte tragen.
Literatur
Jeitner, F. & A. Jeitner (2011): Illegaler Handel und Verzehr von geschützten Schildkröten im peruanischen Amazonasgebiet. – Schildkröten im Fokus 8(1): 24-30 ➚.
Bidmon, H.-J. (2011): Schildkrötenschutz am Südostrand Europas: Ein Besuch zur Eröffnung der GEA Chelonia Foundation, Bulgarien. – Schildkröten im Fokus 8(2): 3-21 ➚.
Reichholf, J. H. (2010): Naturschutz. Krise und Zukunft. – Berlin (Suhrkamp Verlag), 170 S.