Italienische Landschildkröte, Testudo hermanni hermanni, Fundort: Catalunya, Spain – © Victor Loehr

Loconsole - 2023 - 01

Loconsole, M., G. Stachner & E. Versace (2023): Crossmodal association between visual and acoustic cues in a tortoise (Testudo hermanni). – Biology Letters 19(7): 20230265.

Crossmodale-Assoziation zwischen visuellen und akustischen Signalen bei einer Landschildkröte (Testudo hermanni).

DOI: 10.1098/rsbl.2023.0265 ➚

Italienische Landschildkröte, Testudo hermanni hermanni, – © Victor Loehr
Italienische Landschildkröte,
Testudo hermanni hermanni,
Fundort: Catalunya, Spain
© Victor Loehr ➚

Beim Menschen werden die Informationen, die von verschiedenen Sinnen erfasst werden, sofort miteinander in Beziehung gesetzt und abgeglichen, was wir als Crossmodale-Assoziation bezeichnen. Zum Beispiel werden hochfrequente Töne bevorzugt mit kleinen Objekten assoziiert, während Geräusche mit tiefen Frequenzen größeren Objekten zugeordnet werden. Obwohl frühere Studien solche Crossmodalen-Assoziationen auch bei anderen Säugetieren beschrieben haben, sind die Beweise dafür bei anderen Taxa sehr selten, was das Verstehen für die Evolution solcher Phänomene erschwert. Hier liefern wir Beweise für eine Assoziation von Ton und Größe bei einem Reptil, der Landschildkröte Testudo hermanni. Die Schildkröten zeigten eine spontane Präferenz, dafür eine kleine Scheibe (z. B. visuelle Information über Größe) mit einem hochfrequenten Ton (z. B. akustische Information) zu assoziieren, während sie eine große Scheibe mit einem tiefen Ton assoziierten. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Crossmodale-Assoziationen ein evolutionär altes Phänomen darstellen und als potenzielles Organisationsprinzip des Wirbeltiergehirns angesehen werden können.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun hier haben die Autoren wieder einmal etwas bei Reptilien funktionell nachgewiesen was eigentlich zu erwarten war, denn aus rein hirnanatomischer Betrachtung sollten das alle Wirbeltiere, die über ein Tectum mit Colliculi superior und C. inferior verfügen auch können, da in diesen Strukturen die neuronale Verschaltung von visueller und akustischer Information für schnelle Spontanreaktionen zur Gefahrenvermeidung wie auch beim Menschen erfolgen. Insofern würde man auch erwarten, dass die kortikale kognitive Verarbeitung schon angelegt ist. Die Frage, wieweit dann solche Spontanreaktionen in Bezug auf die Größenabschätzung noch weiter kognitiv weiterverarbeitet werden, bleibt offen und hier haben die Autoren nun auch gezeigt, dass auch die über eine kognitive Prozessierung laufende, erlernbare Assoziation bei Testudo hermanni in den höheren telencephalen Hirnstrukturen erfolgt. Letzteres belegt auf wesentlich einfachere Weise auch wieder, dass Schildkröten lernfähig sind. Ja und auch das sollte man erwarten können, wenn man sich einmal klarmacht, dass ja ein Gefahrenabwehr- oder Minimierungsverhalten kognitive Leistungsfähigkeit voraussetzt, was die Arbeiten von Ibanez et al. (2018) auch für andere Schildkrötenspezies eindeutig belegen. Siehe dazu auch die Kommentare zu Krochmal et al., (2021); Sun et al., (2023); Tomonga et al., (2023) und Lin et al., (2024).
Insofern ist die Arbeit ein schöner Beleg dafür, dass sich die von Reber et al. (2023) beschriebenen zellbasierten Informationsverarbeitungssysteme nicht nur von der Zelle bis zum Menschen weiterentwickelt haben, sondern auch wie nicht anders zu erwarten die Schildkröten miteinschließen. Gerade erst wurde bekannt, dass der älteste Sinn (Geruchssinn oder Chemosensation, die ja schon bei Einzellern vorhanden ist) erforderlich ist, um bei einem Säugetier zum Beispiel die Ausbildung der Somatosensorik (Tastsinn) während der Embryonalentwicklung (Ontogenese) steuert (Cai et al., 2024). Nach der Rekapitulationstheorie von Ernst Haeckel sollte ja während der frühen Ontogenese die phylogenetischen Abstammungsvorstufen durchlaufen werden, sprich rekapituliert werden. Diesbezüglich liefert zumindest die Arbeit von Cai et al., (2024) Anhaltspunkte, dass es vielleicht auch eine Rekapitulationstheorie für Bewusstsein (Mind; Conciousness) geben kann. Ja, und letzteres würde dann für alle Lebewesen gelten, sodass die Zygote einer jeden Spezies einschließlich der Chelonier dieses schon als Erbe verinnerlicht haben.

Literatur

Cai, L., A. Ö. Argubsah, A. Damilou & T. Karayannis (2024): A nasal chemosensation-dependent critical window for somatosensory development. – Science 384(6696): 652-660; DOI: 10.1126/science.adn5611 ➚.

Ibáñez, A., J. Martín, A. Gazzola & D. Pellitteri-Rosa (2018): Freshwater turtles reveal personality traits in their antipredatory behaviour. – Behavioural Processes 157: 142-147 oder Abstract-Archiv.

Krochmal, A. R., T. C. Roth & N. T. Simmons (2021): My way is the highway: the role of plasticity in learning complex migration routes. – Animal Behaviour 174(2): 161-167 oder Abstract-Archiv.

Lin, F.-C., P.-J. L Shaner, M.-Y. Hsieh, M. J. Whiting & S.-M. Lin (2024): Trained quantity discrimination in invasive red-eared slider and a comparison with the native stripe-necked turtle. – Animal Cognition 27(1): 26 oder Abstract-Archiv.

Reber, A. S., F. Baluska & W. B. Miller (2023): The sentient cell. – Oxford University Press 1-249; DOI: 10.1093/oso/9780198873211.001.0001 ➚.

Sun, X., Y. Piao, T. Wang, J. Fu & J. Cui (2023): Keep numbers in view: red-eared sliders (Trachemys scripta elegans) learn to discriminate relative quantities. – Biology Letters 19(7): 20230203 oder Abstract-Archiv.

Tomonga, M., D. Haraguchi & A. Wilkinson (2023): Slowly walking down to the more food: relative quantity discrimination in African spurred tortoises (Centrochelys sulcata). – Animal Cognition 26(5): 1675-1683 oder Abstract-Archiv.

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