Köhlerschildkröte, Chelonoidis carbonaria, – © Hans-Jürgen Bidmon

Santacà - 2019 - 01

Santacà, M., M. E. Miletto Petrazzini, C. Agrillo & A. Wilkinson (2019): Can reptiles perceive visual illusions? Delboeuf illusion in red-footed tortoise (Chelonoidis carbonaria) and bearded dragon (Pogona vitticeps). – Journal of Comparative Psychology 133(4): 419-427.

Können Reptilien visuelle Illusionen wahrnehmen? Delboeuf-Illusion bei Köhlerschildkröten (Chelonoidis carbonaria) und Bartagamen (Pogona vitticeps).

DOI: 10.1037/com0000176 ➚

Köhlerschildkröte, Chelonoidis carbonaria, – © Hans-Jürgen Bidmon
Köhlerschildkröte,
Chelonoidis carbonaria,
© Hans-Jürgen Bidmon

Optische Illusionen wurden häufig benutzt um die visuelle Wahrnehmung zwischen Wirbeltieren zu vergleichen, da sie anzeigen wie sich das visuelle System am visuellen Stimulus adaptiert. Ob Reptilien visuelle Illusionen wahrnehmen können wurde nie bei Reptilien untersucht. Hier untersuchten wir ob die Köhlerschildkröte, Chelonoidis carbonaria und die Bartagame, Pogona vitticeps die Delboeuf-Illusion wahrnehmen. Diese Illusion basiert auf der fehlerhaften Wahrnehmung der Größe eines Kreises in Abhängigkeit von dem Kontext in dem er gezeigt wird. Dazu adaptierten wir beide Spezies darauf die gleiche Größenunterscheidung vorzunehmen um ihre Fähigkeiten zu vergleichen. Dazu wurden die Tiere in zwei Testszenarien getestet. In den Kontrollexperimenten bekamen sie jeweils zwei unterschiedlich große Futterportionen auf zwei gleich großen runden Platten angeboten. Bei den echten Tests wurden ihnen dann zwei gleichgroße Futterportionen auf zwei unterschiedlich großen runden Platten angeboten. Wenn sie diese Illusion genauso wie Menschen wahrnehmen dann erwarteten wir, dass sie dabei die Futterportion die auf der kleineren runden Platte lag auswählen würden. Die Landschildkröten zeigten dabei schon bei den Kontrollversuchen ein schlechtes Ergebnis, was unds daran hinderte aus den echten Testverläufen eine sinnvolle Schlussfolgerung über deren Wahrnehmung der Delboeuf-Illusion zu ziehen. Im Gegensatz dazu wählten die Bartagamen immer die größere Futtermenge in den Kontrollexperimenten und in den echtenTests wählten die Futterportion die auf der kleinen runden Platte angeboten wurde signifikant häufiger als das bei zufälliger Auswahl zutreffen würde was nahelegt, dass sie ähnlich wie Menschen die Delbouef-Illusion wahrnehmen. Unsere Studie liefert den ersten Beweis für die Wahrnehmung einer visuellen Illusion für eine Reptilienart, was vermuten lässt, dass sie nicht nur das Futter als visuellen Stimulus erkennen, sondern dass sie diese sensorische Information die von den Photorezeptoren aufgenommen wird auch interpretieren.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun der letzte Satz dieses Abstracts stimmt in meinen Augen so nicht. Denn sowohl die Schildkröten wie auch die Agame nehmen nicht nur Photorezeptorinformation auf, sondern sie interpretieren sie auch. Letzteres istwohl auch bei Schildkröten so, wenn man sich dazu andere an Schildkröten durchgeführte Auswahltests anschaut und interpretiert. Letztendlich könnte man auch sagen diesbezüglich fallen die herbivoren Schildkröten nicht auf diese Illusion herein. Aber was ist wahrscheinlich die biologische Erkärung für diesen Speziesunterschied? Für herbivore Schildkröten die keinen Konkurrenten neben sich haben sind unterschiedlich große Futterprotionen kein adequater Reiz, denn sie haben Zeit beide nacheinander zu verzehren da Pflanzen nicht weglaufen. Bartagamen hingegen sind als Omnivore also auch Jäger und für sie ist es schon ein Vorteil, wenn sie sich bei der Jagd die größere Grille oder Schabe aussuchen, weil sie dadurch einen größeren Energiegewinn erzielen. Für sie wäre es kontraproduktiv erst ein kleiners Beutetier zu jagen und dabei das größere eventuell noch zu verscheuchen. Insofern sind Bartagamen darauf trainiert solche Entscheidungen treffen zu müssen. Insofern denke ich mal, dass der gleiche Test mit einer Rotwangen-Schmuckschildkröte oder einer Terrapene carolina genauso verlaufen wäre wie für die Bartagame. Man sollte sich bezüglich der Vergleichbarkeit solcher Tests durchaus etwas an der Biologie oder im speziellen Falle Ernährungsbiologie der jeweiligen Art orientieren. Siehe auch Kommentare zu Poschadel et al., (2006); Wilkinson & Huber (2012).

Literatur

Poschadel, J. R., Y. Meyer-Lucht & M. Plath (2006): Response to chemical cues from conspecifics reflects male mating preference for large females and avoidance of large competitors in the European pond turtle, Emys orbicularis. – Behaviour 143(5): 569-587 oder Abstract-Archiv.

Wilkinson, A. & L. Huber (2012): Cold-Blooded Cognition: Reptilian Cognitive Abilities. – S. 129-143 in: Vonk, J. & T. K. Shackelford (Hrsg.): The Oxford Handbook of Comparative Evolutionary Psychology – Oxford University Press 129-143 oder Abstract-Archiv.

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