Chinesische Streifenschildkröte, Mauremys sinensis, – © Hans-Jürgen Bidmon

Kalaentzis - 2023 - 01

Kalaentzis, K., C. Kazilas, I. Strachinis, E. Tzoras & P. Lymberakis (2023): Alien Freshwater Turtles in Greece: Citizen Science Reveals the Hydra-Headed Issue of the Pet Turtle Trade. – Diversity 15(5): 691.

Fremde Süßwasserschildkröten in Griechenland: Citizen Science (Bürgerforschung) entlarvt das Hydraköpfige-Problem des Haustierhandels.

DOI: 10.3390/d15050691 ➚

Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Jürgen Bidmon
Schnappschildkröte,
Chelydra serpentina,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Citizen Science entwickelt sich zu einer wirkungsvollen Initiative zur Früherkennung von biologischen Invasionen. Der Exotenhandel wurde als der wichtigste Grund für die Etablierung von fremden Reptilien ausgemacht und unter diesen erweisen sich die Schildkröten als jene mit den höchsten Zahlen für Invasionsereignisse. In Europa wurden bislang mindestens 13 Arten von fremden Süßwasserschildkröten in der Wildnis erfasst. In Griechenland wurden davon bislang nur zwei fremde Süßwasserschildkröten gelistet, nämlich die amerikanische Gelbwange Trachemys scripta und die Florida-Schmuckschildkröte, Pseudemys floridana. In dieser Studie liefern wir eine neue, aktuelle Liste über fremde Süßwasserschildkröten die in Griechenland durch Citizen Science-Beteiligung und durch persönliche Beobachtungen sowie Literaturangaben erfasst wurden. Unsere Ergebnisse liefern die ersten Berichte die für das Land fünf Arten, nämlich die Florida-Rotbauch-Schmuckschildkröte, Pseudemys nelsoni, die Hieroglyphen-Schmuckschildkröte, Pseudemys concinna, die Chinesische Streifenschildkröte, Mauremys sinensis, die Chinesische Weichschildkröte, Pelodiscus sinensis und die Schnappschildkröte, Chelydra serpentina sowie neue Vorkommenslokalitäten für T. scripta aufführen. Vergleichbar mit dem Mythos zur Länerischen-Hydra (z.B. für jeden abgeschlagenen Kopf wachsen mehrere Köpfe nach) erweist sich hier auch der Heimtierhandel von Schildkröten als Mehrköpfig.

Gelbwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta scripta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Gelbwangen-Schmuckschildkröte,
Trachemys scripta scripta,
© Hans-Jürgen Bidmon

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Liste beschreibt zwar ein zunehmendes aber dennoch, wie ich meine, unvollständiges Szenario, denn ich gehe fest davon aus, dass in dieser Liste auch die chinesische Dreikielschildkröte, Mauremys reevesii noch fehlen dürfte ebenso wie einige Vertreter der amerikanischen Zierschildkröten, denn auch die waren im Handel zahlreich vertreten werden aber oft mit den anderen oder heimischen Arten bei reinen Beobachtungen verwechselt. Hier in diesem südeuropäischen Land zeigt sich eigentlich jetzt schon was mit fortschreitender Klimaerwärmung auch in nördlicheren europäischen Regionen zu erwarten ist (siehe dazu auch Nekrasova et al., 2022). Eigentlich handelt es sich dabei um ein Problem das so leicht nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein wird ohne dabei noch größere, negative, ökologische Auswirkungen in vielen Regionen zu verursachen. Im Grunde genommen hat hier der Mensch im evolutiven Sinne zur Expansion von Schildkrötenarten beigetragen. Ja, wenn wir mal den heute zur Moderne erhobenen Begriff der „Assisted Migration“ (siehe Barreto et al. 2023; Morris, 2023) etwas zynisch ausgedrückt nutzen, erleben wir ja hier gerade ein Beispiel für „Kommerziell Assistierte Migration“ und der weltweiten Bildung von Metapopulationen. Ja, selbst hier in Deutschland tun wir oft so als sei das nur ein Problem, dass man unter grausamen, tierschutzrechtlichen Aspekten wie den in Parkteichen erfrierenden Kreaturen schildert (Braukmann & Geier, 2023), welches sich aber dennoch als sehr beständig erweist (Gramentz, 2023). Ich kenne zumindest etliche Parkanlagen und öffentliche Gewässer in denen man Jahr für Jahr auch hier in Deutschland immer wieder die gleichen Individuen von adulten exotischen, invasiven Schildkröten beobachten und fotografieren kann. Zumindest zeigt das, dass etliche dieser Individuen auch gut und bequem hier Überwintern können. Selbst in unmittelbarer Nähe meines Geburtsorts habe ich schon vor Jahren in einem Tagebausee auf knapp unter 600 m Höhe (man bezeichnet die Region auch als hessisch Sibirien) für viele Jahre eine Rotwangen-Schmuckschildkröte beim Sonnenbaden beobachten können. Im Grunde genommen wäre es, ich würde fast sagen, für Evolutionsbiologen, die sich für Schildkrötenevolution interessieren an der Zeit diese sich selbsterhaltenden Bestände einmal bezüglich ihrer genetischen Abstammung und ihrer genetischen Weiterentwicklung und Adaptationsfähigkeit zu untersuchen. Denn ich denke schon, dass wir hier in Europa leider nicht nur eine negativ zu betrachtende Schildkrötenfaunenverfälschung miterleben, sondern auch einen durchaus sich als interessant erweisenden Aspekt der Schildkrötenevolution. Sicher ist das Interpretations- und Ansichtssache, aber der Mensch ist nun mal ein expansives, invasives Lebewesen (siehe z. B. nur Santos & Fiori, 2020) welches wie andere Lebewesen auch zur Verfrachtung von Evolutionslinien beigetragen hat und immer noch beiträgt (Pratt et al., 2023; Bidmon, 2023) und es ist unsere, durch unser abstraktes Denkvermögen herbeigeführte Sichtweise bestimmte Dinge so zusehen und zu diskutieren, wie wir es empfinden. Ob diese (manchmal sogar moralischen) Empfindungen aber im von uns längst verursachten, wenn Sie so wollen, „seminatürlichen“, anthropozänen oder auch einmal „post-anthropozänen“ Evolutionsgeschehen noch eine von uns wirklich steuerbare Rolle spielen bleibt mehr als fraglich? Denn beim Kartoffelkäfer handelt es sich auch um eine invasive Insektenart und was hat seine Bekämpfung als Nebeneffekt mit sich gebracht: Nur den Einsatz von Pestiziden die auch heute noch zumindest zum Teil auch zum allgemein zu verzeichnenden Insektensterben ihren Beitrag leisten. Wobei Letzteres auch nur ein anschauliches Beispiel für die vielen anderen invasiven Tier-, Pflanzen-, Pilz- und Bakterienarten darstellt, die wir heute nur mit der chemischen Keule bekämpfen, aber nicht rückgängig machen können. Siehe auch Arianoutsou et al. (2023), Nekrasova et al., 2022 und Martins et al., (2018) sowie Tzankov et al., (2016). Allein diese letzten vier Zitate zeigen uns ja, dass selbst für Europa viele Biotope zwischen Lissabon im Westen und Burgas an der Schwarzmeerküste im Osten genauso wie von Litauen (Kaunas) im Norden bis zum Peloponnes invasive Schildkrötenspezies beheimaten.

Literatur

Arianoutsou, M., C. Adamopoulou, P. Andriopoulos, I. Bazos, A. Christopoulou, A. Galanidis, E. Kalogianni, P. K. Karachle, Y. Kokkoris, A. F. Martinou, A. Zenetos & A. Zikos (2023): HELLAS-ALIENS. The invasive alien species of Greece: time trends, origin and pathways Advancing research on alien species and biological invasions. – Neobiota 86(1): 45-79; DOI: 10.3897/neobiota.86.101778 ➚.

Barreto, M. M., S. Schmidt-Roach, H. Zhong & M. Aranda (2023): Assessing the feasibility of assisted migration of corals in the Red Sea. – Frontiers in Marine Science 10: 1181456; DOI: 10.3389/fmars.2023.1181456 ➚.

Bidmon, H.-J. (2023): Invasive Spezies und deren Zukunft in einer globalisierten Welt. Schildkröten im Fokus 20(4): Im Druck ➚.

Braukmann, G. & T. Geier (2023): Invasive, ausgesetzte oder entlaufene Wasserschildkröten – Gedanken und Hinweise. Schildkröten im Fokus 20(2): 4-10 ➚.

Gramentz, D. (2023): Zur Beendigung des Sonnens bei drei Wasserschildkrötenarten in Berliner Gewässern. – Radiata 32(4): 24-34.

Martins, B. H., F. Azevedo & J. Teixeira (2018): First reproduction report of Trachemys scripta in Portugal Ria Formosa Natural Park, Algarve. – Limnetica 37(1): 61-67 oder Abstract-Archiv.

Morris, S. (2023): Consider physiology when translocating animals. – Natural climate change 13: 769-770; DOI: 10.1038/s41558-023-01747-9 ➚.

Nekrasova, O., V. Tytar, M. Pupins & A. Čeirāns (2022): Range expansion of the alien red-eared slider Trachemys scripta (Thunberg in Schoepff, 1792) (Reptilia, Testudines) in Eastern Europe, with special reference to Latvia and Ukraine. – BioInvasions Records 11(1): 287-295 oder Abstract-Archiv.

Santos, C. F. M. dos & M. M. Fiori (2020): Turtles, indians and settlers: Podocnemis expansa exploitation and the Portuguese settlement in eighteenth-century Amazonia. – Topoi Revista de História 21(44): 350-373 oder Abstract-Archiv.

Tzankov, N., G. Popgeorgiev, Y. V. Kornilev, N. Natchev, A. Stoyanov, B. Naumov & I. Ivanchev (2015): First survey on the invasive Pond slider (Trachemys scripta) in Bulgaria: historic development and current situation. – Hyla: Herpetological bulletin1: 18-27.

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