Glattrand-Weichschildkröten, Apalone mutica, – © Michael V. Plummer
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Cordero - 2024 - 01

Cordero, G. A., M. L. Balk, C. E. Pérez-González, L. M. Solberg, J. S. Doody, M. V. Plummer & F. J. Janzen (2024): Geographic variation in incubation temperatures promoting viable offspring production in broadly co-distributed turtles. – Journal of Experimental Zoology Part A: Ecological and Integrative Physiology 341(5): 509-524.

Geografische Unterschiede bei den Inkubationstemperaturen, die die Erzeugung lebensfähiger Nachkommen bei weit verbreiteten Schildkröten fördern.

DOI: 10.1002/jez.2802 ➚

Dornrand-Weichschildkröte, Apalone spinifera, – © Kayhan Ostovar
Dornrand-Weichschildkröte,
Apalone spinifera,
ein Tier vom Yellowstone
und die Crew
© Kayhan Ostovar

Organismen, deren frühe Lebensstadien empfindlich auf die Umwelt reagieren, produzieren ihre Nachkommen innerhalb eines relativ engen Bereichs geeigneter abiotischer Bedingungen. Bei Reptilien werden Entwicklungsrate und Überleben oft maximiert, wenn die Inkubationstemperatur unter 31 °C bleibt, obwohl diese Obergrenze innerhalb und zwischen den Arten variieren kann. Wir haben uns mit dieser Erwartung auseinandergesetzt, indem wir die Reaktionen auf die Bebrütung von Eiern bei 30 °C und 33 °C bei gleichartigen Schildkrötenartenpaaren mit breiter geografischer Verteilung verglichen haben. Bei den beiden Weichschildkröten (Apalone spp.) wurden die größten Veränderungen in der Entwicklungsrate und der phänotypischen Varianz in der nördlichsten Population beobachtet, die bei 33 °C eine niedrige Überlebensrate (40 %) hatte. Die vermutlich suboptimale Temperatur (33 °C) für nördliche Populationen führte ansonsten zu Überlebensraten von 76 % bis 93 % und schnellen Schwimmgeschwindigkeiten in südlicheren Populationen. Bei einer Art jedoch erreichten die bei 33 °C erbrüteten Jungtiere aus dem Norden die gleichen hohen Geschwindigkeiten wie ihre südlichen Artgenossen, was auf eine gegenläufige Reaktion hindeutet. In den nördlichen Populationen der beiden Landkartenschildkröten (Graptemys spp.) war die Überlebensrate bei 33 Grad C ebenfalls reduziert (28 %-60 %) und die Entwicklungsrate (im Vergleich zu 30 Grad C) um bis zu 75 % erhöht. Unsere Experimente an unterschiedlichen Taxa mit ähnlichen Nistökologien belegen, dass der optimale Temperaturbereich für die Nachzucht variabel ist. Diese Ergebnisse regen zu weiteren Untersuchungen darüber an, wie Unterschiede auf Populations- und Artniveau mit lokaler Anpassung bei weit verbreiteten eierlegenden Arten zusammenhängen.

Falsche Landkarten-Höckerschildkröte, Graptemys pseudogeographica, – © Hans-Jürgen Bidmon
Falsche Landkarten-Höckerschildkröte,
Graptemys pseudogeographica,
© Hans-Jürgen Bidmon

Kommentar von H.-J. Bidmon

In dieser Studie wurden die Weichschildkröten Apalone mutica (Verbreitungsgebiet 660,2 km2 zwischen den Breitengraden 28,71 - 45,94 ºN) und A. spinifera (Verbreitungsgebiet 2.741,8 km2 zwischen den Breitengraden 23,77- 48,04 ºN) sowie Graptemys ouachitensis und G. pseudogeographica untersucht. Die beiden Gattungen unterscheiden sich dabei in Bezug auf die Austrocknungsresistenz der Eier, die bei Graptemys als moderat und bei Apalone als ausgesprochen hoch zu bezeichnen ist, sodass bei der Gattung Apalone meist nur die Temperatur die Inkubationsbedingungen beeinflusst. Interessant bei dieser Arbeit ist neben den oben ausgeführten Überlebensparametern auch die beobachteten Leistungsunterschiede, wie die hier getestete Schwimmgeschwindigkeit ebenso wie der Körperkonditionsindex etc. Ebenso verweisen die Daten eben auch auf populationsspezifische, merkmalsabhängige Unterschiede, die uns wieder einmal klarmachen sollten, wie komplex und variable diese embryonalen und frühen postembryonalen Entwicklungsmechanismen sind. Letztere können sehr wahrscheinlich auch noch Auswirkungen auf das Adultstadium haben, die wir bislang noch nicht kennen. Aber Variationsbreite ist auch mit eine der Grundvoraussetzungen für Adaptationsfähigkeit. Zudem sollte uns auch hier wieder klarwerden, dass es wohl epigenetische Mechanismen sind, die die Variationsbreite realisieren, die zwar über einige Generationen hinweg vererbbar sein können, aber nicht vererbbar sein müssen. Insofern wieder ein klarer Hinweis, dass die genetisch basierte Taxonomie wie sie heute praktiziert wird, zwar Arten und Unterarten beschreiben kann, dass diese Erkenntnisse aber immer noch weit davon entfernt sind lokalspezifische Populations- und letztendlich auch Evolutionslinienunterschiede zu erfassen. Ja, und letztendlich berücksichtigen diese molekulargenetischen Definitionen auch nicht das, was wir wohl zukünftig über individuelle Senome oder „Kognitionsbasierte natürliche Evolution“ Miller et al. (2024) mit einbeziehen müssten. Sicher, diese Definition wird meist zellbasiert betrachtet und beschrieben, aber da fast alle Lebensformen zellbasiert beginnen und aus Zellen aufgebaut sind und von diesen in Bezug auf ihre Umweltinteraktionen koordiniert werden, werden wir wohl im 21. Jahrhundert noch einiges dazulernen müssen. Siehe auch Iverson (2024) und Miller et al., (2024).

Literatur

Iverson, J. B. (2024): Reproductive Output in the Pond Slider, Trachemys scripta, in Arkansas, USA, with Range-Wide Comparisons. – Chelonian Conservation and Biology 22(2): 197-205 oder Abstract-Archiv.

Miller, W. B. Jr., F. Baluška, A. S. Reber & P. Slijepčević (2024): Biology in the 21st century: Natural selection is cognitive selection. – Progress in Biophysics and Molecular Biology 190: 170-184; DOI: 10.1016/j.pbiomolbio.2024.05.001 ➚.

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