Warner, D. A., D. A. Miller, A. M. Bronikowski & F. J. Janzen (2016): Decades of field data reveal that turtles senescence in the wild. – Proceedings of the National Academy of Sciences 113(23): 6502-6507.
Über Jahrzehnte an Felddaten zeigen, dass Schildkröten auch im Freiland altern.
DOI: 10.1073/pnas.1600035113 ➚
Lebenszeit und Alterungsraten schwanken erheblich zwischen verschiedenen Taxa. Somit ist das Verständnis der Faktoren, die dieser Variation zugrundeliegen, wesentlich für die Biologie und es hat Auswirkungen in Bezug zum Verständnis der begrenzenden und flexiblen Parameter, die auch für das menschliche Altern bestimmend sein können. Die Theorie sagt vorher, dass es zu einem alterungsbedingten Rückgang in Bezug zur Reproduktion kommt, die einhergeht mit einer erhöhten Adultsterberate mit zunehmenden Alter, die dadurch zustande kommt, dass die Selektion gegenüber schädigenden Mutationen im Alter schwächer ausgeprägt ist im Vergleich zu jüngeren Jahren oder dass die Selektion pleiotrope Allele (Genabschnitte) mit vorteilhaften Eigenschaften in jungen Jahren fördert aber in den späten Jahren nicht mehr. Bei vielen langlebigen Ektothermen geht man allerdings davon aus, dass die Selektion hin zu Vorteilhaften im Alter sehr stark bleibt, da typischerweise mit zunehmenden Alter die Reproduktionsrate zunimmt, was dazu führen kann, dass es zu keiner oder zu einer vernachlässigbaren Alterung kommt. Wir zeigen hier, dass es im Gegensatz zu der landläufigen Meinung sowohl zu einem Rückgang bei der Reproduktion und zur Abnahme der Überlebensrate mit zunehmenden Alter bei der Zierschildkröte Chrysemys picta kommt. Wir zeigen das anhand von Daten, die über weit mehr als 20 Jahre bei einer freilebenden Population gesammelt wurden. Alte Weibchen legten zwar größere Gelege ab, aber sie produzierten auch Eier die eine deutlich geringere Schlupfrate zeigten. Zusätzlich zeigten die altersspezifischen Markierungswiederfangstudien eine Zunahme der altersbedingten Mortalitätsrate. Diese Daten, die eine Seneszenz (Alterung) sowohl bei der Reproduktion wie auch in Bezug zur Sterberate zeigen, wiederlegen die allgemeine Annahme das Schildkröten nicht altern und zusätzlich liefern sie Befunde für eine abnehmende Fitness bei hohem Alter für eine Art ,die nicht zu den Säugetieren zählt und die eine chronologisch lange Lebenszeit aufweist.
Kommentar von H.-J. Bidmon
In dieser Studie wird für eine Zierschildkrötenpopulation das Phänomen der Alterung beschrieben. Das Schildkröten nicht altern sollen, daran hat wohl auch schon vorher niemand wirklich geglaubt, denn auch Schildkröten und andere Spezies altern. Was wir häufig dabei übersehen sind die mit dem Altern assoziierten Symptome wie Arthereosklerose, abnehmende Immunabwehr usw., die wir nur zu oft aus unserem menschlichen Blickwinkel betrachten. Bei wildlebenden Tieren beobachtet man solche altersassoziierten Symptome kaum, weil die meisten Individuen, die davon betroffen werden, relativ rasch Beutegreifern oder Parasiten zum Opfer fallen und somit eigentlich schon recht früh aus dem Leben gerissen werden. Ein Phänomen, das wir allein schon daran sehen, dass viele vor Beutegreifern und Parasiten geschützte Wildtiere in Zoos wesentlich älter werden als in der freien Wildbahn. Bei Schildkröten kann man auch bei der Haltung in menschlicher Obhut Alterung beobachten. Mein ältestes Weibchen der Griechischen Landschildkröte, welches ich 1962 als jung adult bekommen hatte, legte in ihren besten Jahren meist 2 Gelege mit 8-10 Eiern ab, aber während ihrer letzten 8 Lebensjahre waren es dann bestenfalls noch 2 Gelege mit 2-4 Eiern. Ebenso litt sie in diesen letzten Jahren häufig an Entzündungen meist um die Kloake, die wohl durch Kopulationsverletzungen bedingt wurden, und die im Gegensatz zu den früheren Jahren oder auch im Vergleich zu den jüngeren Weibchen (zum Teil ihrer Töchter) zunehmend langsamer verheilten. Sicherlich wäre sie wahrscheinlich in freier Wildbahn sehr schnell Beutegreifern oder Fliegenmaden oder Pilzen, die solche Wunden wohl häufig befallen wenn sie unbehandelt bleiben, zum Opfer gefallen und hätte ihre mögliche biologische Altersgrenze nie erreicht. Insofern gibt es für freilebende Tiere sicher einen sehr starken Selektionsdruck hin zu einer „gesunden“ Langlebigkeit, wenn keine anderen biologischen artspezifischen Gründe die Lebensspanne begrenzen, da alle Individuen die früh alterungsassoziierte Symptome zeigen aus dem System sehr schnell entfernt werden und sich nur Individuen die diese Symptome erst sehr spät zeigen sich weiterhin vermehren und somit mehr Nachkommen mit diesen guten ererbten Eigenschaften produzieren. Was bestimmt also aus biologischer Sicht das mögliche Alter – ich möchte fast sagen – aller Lebewesen, wenn sie nicht vorher Umweltgiften, Beutegreifern oder anderen Infektionskrankheiten zum Opfer fallen? Nun, aus biologischer Sicht sind es unsere Mitochondrien, die alle sich sexuell fortpflanzenden Lebewesen von ihren biologischen Müttern in der Eizelle mitbekommen. Mitochondrien sind die Zellorganellen, die für unseren Energiestoffwechsel zuständig sind und die ein eigenes (Teil)-Genom besitzen. Diese Mitochondrien altern zwangsweise, weil sie als Endosymbionten nur noch ein (wenn sie so wollen) unvollständiges Genom tragen, das ihnen nur noch ein geringes Regenerationspotential (zum Teil nur durch Fusion) erlaubt und sie können sich nur asexuell durch Teilung vermehren. Das heißt sie sind mit die anfälligsten Organellen im Körper und sie sind einer ständigen unabdingbaren Belastung ausgesetzt, da jeder achte Sauerstoff in der Atmungskette des oxidativen Stoffwechsel als Sauerstoffradikal anfällt, das entgiftet werden muss ehe es Schaden anrichtet. Diese „Zeitbombe“ tickt in jedem Lebewesen unabhängig aller anderer biologischer lebensbegrenzender Faktoren. Deshalb gehen nicht wenige Biologen davon aus, dass die Eigenschaften der ererbten Mitochondrien jene sind, die das maximal erreichbare Alter eines jeden Individuum einer Art bestimmen. Da die Mitochondrien mit erhöhtem Stoffwechselbedarf mehr belastet werden ist es sehr wahrscheinlich, dass sie dann auch schneller altern. Letzteres könnte eine Begründung dafür sein, warum manche davon ausgehen, dass z.B. Schildkröten die keinen Winterschlaf machen schneller altern, denn wenn sie nicht ruhen haben sie zwangsläufig einen höheren Stoffwechsel als in Ruhe, und das meist auch noch in einer Zeit wo sowohl die „artgerechte“ Ernährung wie auch die natürlichen Lichtverhältnisse nur unzureichend gegeben sind. Geht man also davon aus, dass manche Schildkröten 30 % oder gar mehr als 70 % (manche Steppenschildkrötenpopulationen) ihrer Lebenszeit in Ruhezuständen (Ästivation/Hibernation, Bondarenko & Peregontsev 2012, Plummer 2004) verbringen, dann wird eigentlich schnell klar wie das Fehlen oder drastische Verkürzen solcher Ruhephasen ein schnelleres Altern bedingen können.
Literatur
Bondarenko, D. A. & E. A. Peregontsev (2012): Results of Studying the Feeding of Central Asian Tortoise (Agrionemys horsfieldii). – Zoologicheskii Zhurnal (ЗООЛОГИЧЕСКИЙ ЖУРНАЛ) 91(11): 1397-1410 oder Abstract-Archiv.
Plummer, M. V. (2004): Seasonal inactivity of the Desert Box Turtle, Terrapene ornata luteola, at the species' southwestern range limit in Arizona. – Journal of Herpetology 38(4): 589-593 oder Abstract-Archiv.
Galerien
Chrysemys picta – Zierschildkröte