Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, – © Hans-Jürgen Bidmon

Van der Zee - 2021 - 01

Van der Zee, J. P.M. J. A. Christianen, M. Bérubé, M. Nava, K. Shut, F. Humber, A. Alfaro-Núñez, L. E. Becking & P. J. Palsbøll (2021): The population genomic structure of green turtles (Chelonia mydas) suggests a warm-water corridor for tropical marine fauna between the Atlantic and Indian oceans during the last interglacial. – Heredity 127: 510–521.

Die Populationsgenomische-Struktur der Suppenschildkröten (Chelonia mydas) lässt vermuten, dass es einen Warmwasserkorridor für die marine Fauna zwischen dem atlantischen und indischen Ozean während der letzten Zwischeneiszeit gab.

DOI: 10.1038/s41437-021-00475-0 ➚

Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, – © Hans-Jürgen Bidmon
Grüne Meeresschildkröte,
Chelonia mydas,
© Hans-Jürgen Bidmon

Der ab und zu auftretende nach Westen gerichtete Transport von warmem Wasser der „Agulhasströmung“ um das südliche Afrika herum wurde dafür verantwortlich gemacht die tropische, marine Konnektivität zwischen atlantischen und indischen Ozean zu beschleunigen, aber diese als „Agulhas-Leck“-Hypothese bezeichnete Annahme erklärt nicht die Signaturen für einen ostwärts gerichteten Genfluss der für viele der tropischen Fauna angehörenden Arten zu beobachten ist. Wir untersuchten eine alternative Hypothese: Nämlich die Etablierung eines Warmwasserkorridors der während der vergleichsweise warmen Zwischeneiszeiten auftritt. Diese „Warmwassserkorridorhypthese“ wurde untersucht indem wir die populationsgenomische Struktur bei den atlantischen und südwestindischen Suppenschildkröten (N = 27) anhand von 12.035 genomweiten Einzelnukleotidpolymorphismen (SNPs) die mittels der ddRAD-Sequenzierung identifiziert wurden analysierten. Die modellbasierte und multivariate Clusterbildung legte eine hierarchische Populationsstruktur nahe, die zwei ozeanische Hauptcluster nämlich ein atlantisches und ein südwest-indisches Cluster aufwies, wobei sich zusätzlich ein karibisches sowie ein ostatlantisches Untercluster abzeichnete. Ein coalescenz-basiertes Selektionsmodell ergab ein Modell demnach sich die südwestindischen ozeanischen- und die karibischen Populationen von der ostatlantischen Population während des Übergangs von der letzten Zwischeneiszeit (vor 130.000-115.000 Jahren) bis zur letzten Eiszeit (115.000-90.000 Jahren) abspalteten. Der Beginn der letzten Eiszeit isolierte folglich die atlantischen und südwestindischen Suppenschildkröten und sorgte für die Entstehung von drei Refugien (Populationen) die später nach dem Eiszeitmaximum als die Temperaturen wieder anstiegen wieder in sekundären Kontakt in der Karibik und im südwestindischen Ozean kamen. Unsere Befunde legen nahe, dass es während der wärmeren Zwischeneiszeiten zur Ausbildung eines Warmwasserkorridors kam der die tropische, marine Konnektivität zwischen atlantischen und südwestindischen Ozean immer wieder herstellte.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun liefern diese sehr interessanten Modellierungen sicherlich interessante Erklärungsansätze aber sicherlich noch keine absoluten Beweise weshalb man ja auch von Hypothesen oder Annahmen spricht. Allerdings zeigen uns solche Befunde auch in welchen Zeiträumen wir Evolution und damit Evolutionslinienentstehung und Verschmelzung, wenn sie so wollen auch Hybridisierung (Introgressionsereignisse) verstehen sollten. Sicher hier spricht man nicht von verschiedenen Arten, sondern von unterschiedlichen Populationen einer Art aber dennoch handelt es sich hierbei um Speziationsprozessabläufe deren Auswirkungen aber durch die zwischen den eigentlich grenzenlosen Ozeanen sich besser erfassen lassen als an Land, denn hier gibt es nur Populationsgrenzen die durch die Wassertemperatur bestimmt werden und die sofort wieder verschwinden können sobald sich eine Temperaturänderung einstellt. Nichtsdestotrotz sollten wir aber daran auch erkennen, dass solche evolutiven Vorgänge auch für terrestrische Arten eine Rolle spielen können, insbesondere dann, wenn sich die betroffenen Individuen die Möglichkeit zum adaptiven Genaustausch und zur Fortpflanzung offenhalten konnten wie wir das unter anderem bei vielen Schildkröten beobachten können (z. B. Martin et al., 2020; Bidmon, 2017). Ich habe hier bewusst den Begriff Art nicht angesprochen, weil es diesen von uns Menschen definierten Begriff vorher in der Form wie wir ihn definieren und für unsere menschengemachte Kategorisierung nutzen nicht gab. Deshalb sollten wir uns wie ich finde schon die wichtige Frage stellen, ob die Form wie wir Arterhaltung betreiben auf lange Sicht den Lebewesen etwas nützt? Sicher für das Zusammenleben von Mensch und belebter Umwelt mag das sinnvoll sein dort wo wir massiv in die Umwelt eingreifen. Letzteres besagt aber nicht, dass wir dies auf die richtige Art und Weise tun um den Langzeitfortbestand einer Evolutionslinie zu gewährleisten deren Überleben vielleicht durch die Ermöglichung eines offenen Genflusses über diese von uns definierten Abgrenzungen hinweg besser gewährleistet werden könnte, insbesondere in Anbetracht sich verändernder Umweltbedingungen. Ja, und insofern müssen wir uns schon fragen, ob die Aussage – Wir können doch nur schützen und erhalten was wir kennen? – und die daraus erwachsenden Vorgehensweisen die richtigen für den langfristigen Biodiversitätserhalt sind? Müssten wir dem Genfluss zu liebe nicht viel großzügiger und grenzübergreifender mit dem Artbegriff umgehen als wir es derzeit tun?
Siehe auch Chen & Pfennig, (2020); Arantes et al., (2020); Brito et al., (2020) und die dortigen Kommentare.

Literatur

Arantes, L. S., S. T. Vilaça, C. J. Mazzoni & F. R. Santos (2020): New genetic insights about hybridization and population structure of hawksbill and loggerhead turtles from Brazil. – Journal of Heredity esaa024 oder Abstract-Archiv.

Bidmon, H.-J. (2017): Sind phylogenetische Stammbäume nur ein Traum? – Schildkröten im Fokus 14(1): 14-27 ➚.

Brito, C., S. T. Vilaça, A. L. Lacerda, R. Maggioni, M. Â. Marcovaldi, G. Vélez-Rubio & M. C. Proietti (2020): Combined use of mitochondrial and nuclear genetic markers further reveal immature marine turtle hybrids along the South Western Atlantic. – Genetics and molecular biology 43(2): e20190098 oder Abstract-Archiv.

Chen, C. & K. S. Pfennig (2020): Female toads engaging in adaptive hybridization prefer high-quality heterospecifics as mates. – Science 367(6484): 1377-1379 oder Abstract-Archiv.

Martin, B. T., M. R. Douglas, T. K. Chafin, J. S. Placyk Jr., R. D. Birkhead, C. A. Phillips & M. E. Douglas (2020): Contrasting signatures of introgression in North American box turtle (Terrapene spp.) contact zones. – Molecular Ecology 29(21): 4186-4202 oder Abstract-Archiv.

Vilaca, S. T., R. Piccinno, O. Rota-Stabelli, M. Gabrielli, A. Benazzo, M. Matschiner, L. S. Soares, A. B. Bolten, K. A. Bjorndal & G. Bertorelle (2020): Divergence and hybridization in sea turtles: Inferences from genome data show evidence of ancient gene flow between species. – Molecular Ecology 30(23): 6178-6192 oder Abstract-Archiv.

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