Kalifornische Gopherschildkröte, Gopherus agassizii, – © H. Bradley Shaffer

Dutcher - 2020 - 01

Dutcher, K. E., A. G. Vandergast, T. C. Esque, A. Mitelberg, M. D. Matocq, J. S. Heaton & K. E. Nussear (2020): Genes in space: what Mojave desert tortoise genetics can tell us about landscape connectivity. – Conservation Genetics 21(4): 289-303.

Gene in Raum und Zeit: Was uns die Genetik der Mojave-Wüstenschildkröte über die Konnektivität innerhalb der Landschaft erzählen kann.

DOI: 10.1007/s10592-020-01251-z ➚

Kalifornische Gopherschildkröte, Gopherus agassizii, – © H. Bradley Shaffer
Kalifornische Gopherschildkröte,
Gopherus agassizii,
© H. Bradley Shaffer

Lebensraumverlust und Landschaftsfragmentierung haben in der Mojave-Wüste zugenommen und diese Veränderungen können neue Barrieren entstehen lassen welche die Wanderbewegungen sowie den Genfluss innerhalb der Populationen von Arten einschränken können. Die Störungen und Zerstörungen innerhalb des Habitats der Mojave-Wüstenschildkröte werden durch linear verlaufende Strukturen (z. B. Schnellstraßen, Bahnlinien und Netzwerke an kleineren Verkehrswegen), Urbanisierung (Siedlungsbau), Bergbau sowie erst jüngst durch Fotovoltaik- und Solarparks verursacht. Um nun die räumliche Verteilung der genetischen Struktur bei den Landschildkröten innerhalb einer Region mit zunehmenden Habitatverlust zu untersuchen genotypisierten wir 299 Schildkröten unter Verwendung von 20 Mikrosatelliten-Loci aus der Ivanpah-Tal-Region entlang der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada. Wir nutzten die Bayesian-Clusteranalyse um die genetische Struktur der Gesamtpopulation über die Gesamtfläche einschließlich des Tales und der Bergpasshabitate quantitativ zu erfassen. Eine raumbezogene Hauptkomponentenanalyse wurde benutzt um das Muster einer entfernungsbedingten Isolation genauer zu analysieren. Um die Auswirkungen der Landschaftsstrukturen (z.B. Habitat und menschengemachte lineare Barrieren) zu untersuchen verwendeten wir Maximale-Wahrscheinlichkeits-Populationseffekt-Analysen. Wir quantifizierten dabei den derzeitigen Genfluss anhand der Verwandtschaftsbeziehungen unter Anwendung einer Maximalen-Wahrscheinlichkeitsanalyse für die Abstammung. Wir identifizierten letztendlich damit drei genetische Cluster die im Allgemeinen mit den Tallagen die durch Berge getrennt werden übereinstimmten sowie einer genetisch klar unterscheidbaren Population die einen Bergpass besiedelte. Die Verwandtschaftsanalysen zeigten Verwandtschaftsbeziehungen zweiten Grades bis zu einer räumlichen Entfernung von 60 km was nahelegt, dass es im Gegensatz zu früheren Annahmen zu weitreichenderen Interaktionen und Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Populationen kommt. Unsere Ergebnisse bestätigen einen historischen Genfluss mit einer durch Widerstände (z.B. Berge) verursachten Isolation und sie zeigen zudem eine reduzierte „Genetische Konnektivität“ beiderseits der parallel verlaufenden linearen Strukturen die den Lebensraum zerschneiden (Eisenbahntrasse, Schnellstraße). Unsere Arbeit belegt klar die Fähigkeit der Schildkröten eine Spannbreite unterschiedlicher Habitate zu besiedeln die sowohl Tallagen wie auch Bergpässe beinhalten, aber sie lässt zeitgleich erkennen, dass die Habitatfragmentierung die Konnektivität massiv einschränkt und relativ schnell genetisch bedingte Konsequenzen zeitigt.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Wieder einmal eine Arbeit die klar herausstellt, dass Landschildkröten durchaus ein hohes Anpassungspotential besitzen. Etwas was mal allgemein betrachtet Schildkröten überhaupt und in Zusammenhang mit etlichen anderen vorteilhaften Eigenschaften (multiple Vaterschaften, Introgressionen etc.) wohl ein Überleben mit sehr weit zurückreichenden Fossilrekord ermöglicht hat. Ja selbst ein Genfluss der für Tiere mit ansonsten als relativ kleinen Aktionsradius von 60 km lässt aufhorchen. Sicher das heißt nicht, dass sie soweit aktiv wandern aber es zeigt doch wie weit die Verwandtschaftsbeziehungen reichen und was im Populationsgenetischen Sinn als Konnektivität angesehen werden sollte insbesondere, wenn man Erhaltungsmaßnahmen plant. Andererseits stellt sich die Frage wie viele würden dazu neigen Populationen die über weniger weite Distanzen getrennt angetroffen werden als unabhängige Erhaltungslinien zu betrachten? Es ist deshalb lobenswert, dass die moderne Molekulargenetik das Erkennen solcher Zusammenhänge ermöglicht. Wir sollten aber dann auch erkennen, dass aus erhaltungsbiologischer Sicht insbesondere was die Taxonomie anbetrifft solche Erkenntnisse mehr Berücksichtigung finden sollten um zu vermeiden mehr Speziesseparatismus einzuführen als eigentlich gerechtfertigt ist. Nicht zuletzt verdeutlicht diese Studie aber auch wie schnell die durch den Menschen verursachte Lebensraumfragmentierung zur Verarmung beim Genfluss beiträgt und dass obwohl sich hier im untersuchten Fall eine langlebige Art mit der Möglichkeit zur Spermaspeicherung über mehrere Jahre handelt. Ein Umstand der eigentlich dazu beiträgt, dass man solche Genflussunterbrechungen eigentlich erst sehr spät erkennt, da die Weibchen der fragmentierten Population innerhalb der Fragmente ja noch etwa bis zu vier Jahren nach der Fragmentierung Nachkommen zeugen die das genetische Potential der Ursprungspopulation zeigen. Insofern verweist diese Studie eigentlich eindrucksvoll daraufhin in welchen Zeiträumen nach solchen Landschaftseingriffen man solche Überprüfungen ansetzten sollte um wirklich die Langzeitfolgen für diese Schildkrötenfauna abschätzen zu können. Kurzzeiterfassungen die während der ersten 10 Jahre nach solchen Veränderungen durchgeführt werden und die zu dem Schluss kommen es hätte der Population nicht geschadet wären diesbezüglich wohl von vornherein als unzulässig abzustempeln. Daran erkennt man aus psychologischer Sicht auch etwas unsere eigenen Schwierigkeiten. Denn uns mit einer durchschnittlichen Lebenszeit die noch vor Kurzem unter 80 Jahren lag, fällt es schwer Zusammenhänge in der Natur zu überblicken und zu durchschauen, die ein oder zwei Jahrhunderte oder gar noch längere Perioden mit den entsprechenden Prozessabläufen umfassen. Siehe auch Averill-Murray & Averill-Murray (2005), Hromada et al., (2020) und die dortigen Kommentare.

Literatur

Averill-Murray, R.C. & A. Averill-Murray (2005): Regional-scale estimation of density and habitat use of the Desert Tortoise (Gopherus agassizii) in Arizona. – Journal of Herpetology 39(1): 65-72 oder Abstract-Archiv.

Hromada, S. J., T. C. Esque, A. G. Vandergast, K. E. Dutcher, C. I. MitchellI, M. E. Gray, T. Chang, B. G. Dickson & K. E. Nussear (2020): Using movement to inform conservation corridor design for Mojave desert tortoise. – Movement Ecology 8(1): 38 oder Abstract-Archiv.

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