Zheng, Z. & J. Keifer (2020): Learning-Dependent Transcriptional Regulation of BDNF by its Truncated Protein Isoform in Turtle. – Journal of Molecular Neuroscience 71(5): 999-1014.
Die Lern-abhängige transkriptionale Regulation von BDNF durch die verkürzte Proteinisoform bei einer Schildkröte.
DOI: 10.1007/s12031-020-01722-5 ➚
Das für Wirbeltiere bekannte neurotrophe Gehirnfaktor-(BDNF, Brain derived neurotrophic factor)-Gen produziert eine Anzahl von alternativ zugeschnittenen Transkripten von denen einige wirklich für das BDNF-Protein kodieren welches für die Plastizität der Synapsen zwischen den Neuronen und damit für das Lernen zuständig ist. Viele der anderen Transkripte sind noch nicht genau charakterisiert und deren biologische Funktion liegt noch im Dunkeln. Vor Kurzem beschrieben wir dieses alternative Zuschneiden innerhalb der für Protein-kodierenden Sequenz des BDNF-Gens für die Sumpfschildkröte (tBDNF) welches für eine funktional distinkt verkürzte Proteinisoform (trcBDNF) kodiert die während einer klassischen neuronalen Augenzwinker–Konditionierung in ex-vivo Hirnstammpräparaten reguliert wird. Wir postulieren die Hypothese, dass trcBDNF eine dominant negative Funktion ausübt, da dessen Expression genau gegenläufig zu dem Expressionsmuster des in voller Länge exprimierten Gegenspielers BDNF erfolgt. Die hier vorgestellten Daten lassen den Schluss zu, dass trcBDNF die Funktion eines transkriptionalen Repressors (Unterdrückers) für einen durch Konditionierung induzierten abwärtsgelegenen BDNF-Promotor spielt der die Expression für die für Lernvorgänge essentielle Expression des ungekürzten BDNF reguliert. Als erstes konnten wir zeigen, dass die Expression der Transcripte mit voller Länge negativ mit dem trcBDNF korreliert ist und diese Transkripte werden dann gehemmt, wenn endogenes trcBDNF ektopisch induziert wird und sie werden dann exprimiert, wenn trcBDNF experimentell gehemmt wird. Zum zweiten zeigt sich in ChIP-qPCR–Assays mit rekombinanten trcBDNF-Protein, RtrcBDNF, dass diese eine starke Bindung an den abwärtsgelegenen BDNF-Exon-Promotor zeigen die einhergeht mit einer Konditionierungshemmung. Zum dritten führt eine Entfernung des C-Terminus von RtrcBDNF zur Hemmung der Bindung an den Promotor und führt dazu, dass die Konditionierung wieder erfolgt, wenn die Bindung an eine Tropomysinrezptorkinase B (TrkB) erfolgt. Abschießend lässt sich auch zeigen, dass eine direkte Mikroinjektion von RtrcBDNF in Hirnstammpräparate die Konditionierung unterbindet. Diese Ergebnisse zeigen einen neuen Mechanismus für eine aktivitätsabhängige, transkriptionale Regulation von BDNF die vermuten lässt, dass es sich bei dem BDNF-Gen um ein autoreguliertes Gen handelt. Ob dieser Mechanismus für alle Plastizitätsgene generell zutrifft muss aber noch geklärt werden.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Sicher ist dieses Abstrakt und die Arbeit nicht für jeden leicht verständlich, aber erst einmal zeigt die Arbeit, dass bei Schildkröten auf molekularer Ebene Lernvorgänge mit denselben Molekülen, sprich Neurotrophen-Faktor (BDNF) geregelt werden wie bei uns Menschen, wobei immer dann, wenn gelernt wird BDNF exprimiert bzw. hochreguliert wird. Letzteres ermöglicht, dass neue oder zusätzliche Kontakte zwischen den Nervenzellen im Gehirn entstehen können welche die Speicherung der Lerninhalte ermöglichen. Das Letzteres stattfindet und auch ein Langzeitgedächtnis für Lerninhalte ermöglicht wird durch etliche Studien und Beobachtungen die auch an Schildkröten durchgeführt wurden belegt (Szabo et al., 2020 und die dort angeführte Literatur im Kommentar). Insofern wieder eine Arbeit die zum Nachdenken einlädt und die uns eigentlich verdeutlichen kann zu welchen Aussagen eine die Formalien beschreibende Wissenschaft im Hinblick auf Kognition und Bewusstsein überhaupt kommen kann. Was lässt sich über die kognitiven Unterschiede zwischen Tieren und Menschen aussagen? Oder was können wir vor diesem Hintergrund überhaupt über das so viel gepriesene Selbstbewusstsein sagen? Siehe auch Bidmon (2014).
Literatur
Bidmon, H.-J. (2014b): Kommentar zu: Wilkinson, A. & L. Huber (2012): Cold-Blooded Cognition: Reptilian Cognitive Abilities. – S. 129-143 in: Vonk, J. & T. K. Shackelford (Hrsg.): The Oxford Handbook of Comparative Evolutionary Psychology. – Oxford University Press 129-143 oder Abstract-Archiv.
Szabo, B., D. W. A. Noble & M. J. Whiting (2020): Learning in non-avian reptiles 40 years on: advances and promising new directions. – Biological reviews of the Cambridge Philosophical Society 96(2): 331-356 oder Abstract-Archiv.