Hieroglyphen-Schmuckschildkröte, Pseudemys concinna, – © Hans-Jürgen Bidmon
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Tietz - 2024 - 01

Tietz, B., J. Penner & M. Vamberger (2023): Chelonian challenge: three alien species from North America are moving their reproductive boundaries in Central Europe. – NeoBiota 82(1): 1–21.

Chelonian challenge: drei gebietsfremde Arten aus Nordamerika verschieben ihre Fortpflanzungsgrenzen in Mitteleuropa.

DOI: 10.3897/neobiota.82.87264 ➚

Gelbwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta scripta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Gelbwangen-Schmuckschildkröte,
Trachemys scripta scripta,
© Hans-Jürgen Bidmon

Biologische Invasionen durch gebietsfremde Arten haben erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen und sind eine der Hauptursachen für den anhaltenden Rückgang und den Verlust der Artenvielfalt. Durch den Menschen hat die nordamerikanische Schmuckschildkröte (Trachemys scripta) in den letzten Jahrzehnten eine weltweite Verbreitung erlangt und wird derzeit als eine der schlimmsten invasiven Reptilienarten geführt. In jüngerer Zeit wurden jedoch auch zunehmend andere Süßwasserschildkrötenarten weit außerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets nachgewiesen, und zwar nicht nur auf demselben Kontinent, sondern auch auf anderen. Trotzdem sind die Auswirkungen dieser gebietsfremd verbreiteten Schildkröten auf ihre jeweiligen neuen Ökosysteme nach wie vor unklar. Die langfristigen Auswirkungen und die Schwere der Folgen gebietsfremder Populationen hängen vor allem davon ab, ob es ihnen letztlich gelingt, sich zu etablieren. Für die Schildkröten in Mitteleuropa ist dies noch nicht vollständig geklärt. Um diese Frage zu beantworten, haben wir Wildpopulationen von drei nicht-einheimischen Schildkrötenarten aus Nordamerika in Deutschland (Pseudemys concinna, Graptemys pseudogeographica und Trachemys scripta) mit Hilfe populationsgenetischer Methoden untersucht. Wir konnten die erfolgreiche Reproduktion aller drei Arten in Deutschland nachweisen und liefern den allerersten Nachweis für die Reproduktion von P. concinna und G. pseudogeographica in einer gemäßigten kontinentalen Klimazone außerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes. Auf der Grundlage unserer eindeutigen Beweise für eine natürliche Fortpflanzung fordern wir spezielle Studien, um die Verbreitung etablierter Populationen zu überprüfen und die bestehenden und potenziellen Auswirkungen aller drei Arten in einer Reihe von Ökosystemen entlang eines klimatischen Gradienten zu untersuchen. Solche Daten werden dringend benötigt, um die aktuellen Risikobewertungen für nicht heimische Schildkröten, insbesondere in den mitteleuropäischen Ländern, zu überarbeiten.

Kommentar von H.-J. Bidmon

In dieser Studie werden die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Nachkommen und Elterntieren für alle drei Arten aufgezeigt, wodurch sich ein klarer Beweis ergibt, der belegt, dass sich diese Arten als invasiv hierzulande etabliert haben. Ja, und was hier funktioniert, sollte in weiter südlich gelegenen Regionen Europas noch besser funktionieren, solange der Klimawandel nicht dazu beiträgt, dass in diesen südlicheren Landesteilen die Gewässer zunehmend mehr austrocknen. Da diese Spezies langlebig sind, dürfte es ausreichen, wenn sie nur alle 3,5, oder gar 10 Jahre ein Jahr erwischen, in denen die klimatischen Bedingungen so sind, dass der Nachwuchs erfolgreich schlüpft. Zudem dürfte sich auf diese Weise auch ein weiteres Problem für den prognostizierten Fortbestand von Schildkröten lösen, denn die klimatischen Verhältnisse in Deutschland dürften immer noch so sein, dass eine Verweiblichung der Bestände durch zu hohe Inkubationstemperaturen nicht so schnell zu befürchten wäre. Insofern wäre das sogar im Sinne einer längerfristigen Überlebensmöglichkeit für Schildkröten ein nicht zu vernachlässigender Vorteil. Ich persönlich glaube nicht daran, dass dadurch einheimische Schildkröten wie Emys orbicularis verdrängt würden. Denn Emys orbicularis Populationen waren ja vielerorts schon ausgerottet, ehe es diese massiveren Probleme mit invasiven Schildkrötenarten gab. Sicher mag es jetzt dort Probleme geben, wo Emys orbicularis oder auch selten gewordene Amphibienarten wieder angesiedelt werden sollen. Aber damit sind ja die Probleme, die zu deren Populationseinbrüchen in der Vergangenheit geführt haben, nicht gelöst. Ja selbst, wenn wir uns heute anschauen, wie sich der Fokus der politischen Debatten wieder hin zu mehr Wirtschaftlichkeit verschiebt und selbst der Einsatz von Herbiziden und Pestiziden in der Agrarwirtschaft auch weiterhin erlaubt bleibt, kann man fast schon davon ausgehen, dass wir froh sein sollten, wenn die Lücken die von heimischen Schildkröten nicht mehr genutzt werden durch solche Arten ausgefüllt werden. Vielleicht wäre damit auch die massive kaum noch zu kontrollierende invasive Ausbreitung der amerikanischen Signalkrebse einzudämmen, denn Wasserschildkröten wären in Bezug auf die Eindämmung von deren Nachwuchs sicher effektiver als der Reusenfang. Wahrscheinlich erleben wir hier nichts anderes als die globale Veränderung von Faunen- und Vegetationskomponenten die wir als Menschen zwar als negativ ansehen, die aber langfristig zum Fortbestand von ganzen Artenkomplexen beitragen kann. Gerade dabei gehen ja Umweltveränderung und Umweltanpassung im Evolutionsgeschehen oft Hand in Hand.

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