Sterrett - 2015 - 01

Sterrett, S. C., J. C. Maerz & R. A. Katz (2015): What can turtles teach us about the theory of ecological stoichiometry? – Freshwater Biology 60(3): 443-455.

Was können uns die Schildkröten über die Theorie zur ökologischen Stöchiometrie lehren?

DOI: 10.1111/fwb.12516 ➚

Wirbeltierskelette zeichnen sich gegenüber anderen Geweben durch einen relativ hohen Phosphorgehalt aus. Unterschiede in Skelettaufbau (Investment) innerhalb einer Spezies oder zwischen verschiedenen Arten spiegeln sich laut der Hypothese in Unterschieden beim P-Bedarf sowie in der gespeicherten P-Menge und im P-Recycling wieder. Diese Beziehungen wurden bislang nur für Fische untersucht, nicht aber bei Wirbeltieren mit robusteren Skeletten wie den Schildkröten. Unsere Ziele waren zum einen eine Beschreibung der Stöchiometrie in Abhängigkeit zur relativen Skelettmasse für Süßwasserschildkröten. Zum zweiten ging es darum Vergleichsdaten zu erarbeiten für die Stöchiometrie der Körperausscheidungsmuster der Schildkröten im Vergleich zu denen der Fische. Zum dritten wollten wir die Beziehungen zwischen der Schildkrötenskelettstöchiometrie, deren Nährstoffspeicherung und Nährstoffrecycling analysieren. Das Skelett macht 82 % des Trockengewichts einer Süßwasserschildkröte aus. Der prozentuale Phosphatanteil vergrößerte sich während der Ontogenese (Entwicklung) der Schildkrötenmasse, wobei 93 % des gesamten P im Skelett zu finden war. Die gespeicherte P-Menge lag innerhalb der Schildkrötengemeinschaften hoch (0,2-0,45 kgha(-1)). Schildkröten zeigten eine niedrigere P-Ausscheidung im Vergleich zu Fischen. Das Verhältnis des ausgeschieden N:P war positiv korreliert mit dem Körper N:P-Verhältnis was vermuten lässt, dass die ansteigende P-Zunahme im Skelett invers mit dem P-Bedarf korreliert ist. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der im Schildkrötenknochen gespeicherte P-Gehalt eine große gebundene P-Menge in Süßwasserhabitaten darstellt. Zudem zeigt unsere Untersuchung, dass die P-Investition für den Skelettaufbau vermutlich allein nicht ausreicht um den Gesamtbedarf an P für ein Tier vorherzusagen sowie dessen Auswirkungen auf das Nährstoffrecycling. Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass der Gesamtbedarf an P durch zwei Faktoren – nämlich den Bedarf für das Skelett und die Wachstumsrate – beeinflusst wird. Die Konsequenz aus diesen Daten ergibt, dass Taxa mit hohem Körpergehalt an P, einer extremen Langlebigkeit und einer geringen Zuwachsrate bei den Adulti als stabile Nährstoffspeicher angesehen werden können, die proportional auch zu einer Nährstoffremineralisation beitragen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Studie adressiert einen gesamtökologischen Aspekt und zielt darauf ab zu zeigen, in welchem Ausmaß Tiere, die in einem Ökosystem vorhandene Nährstoffmenge beeinflussen (deshalb auch die hier im Abstract angeführten Mengen, die sich ja auf Flächen und nicht auf Tiere beziehen). Die Autoren haben diese Daten am Beispiel des verfügbaren Phosphors ermittelt. Insofern wäre diese Arbeit eigentlich für die Tierhaltung und Veterinärmedizin relativ unspektakulär. Um allerdings diese ökologischen Zusammenhänge zu analysieren, mussten die Autoren schon einzelne Schildkröten untersuchen. Sie untersuchten auch unterschiedlich alte Exemplare. Gerade diese Daten sind es, die in dieser Arbeit so interessant sind, was gerade im vorletzten Satz zum Ausdruck kommt. Dies nimmt auch in der Diskussion der Ergebnisse einen breiten Raum ein. Beginnen wir aber zunächst mit dem Anfang, denn da fällt zuerst auf, dass die Autoren klarstellen, dass solche Untersuchungen bislang bei Tieren nur für Süßwasserfische verfügbar sind. Letzteres bedeutet aber auch, dass – wie ich das schon vermutet hatte (siehe Bidmon 2014) – solche Daten für Schildkröten nicht existieren und die ganzen Ca:P-Verhältnisse, die für eine optimale Versorgung von Schildkröten so diskutiert werden, nur abgeleitet sind (z. B. Mensch oder vielleicht auch Fisch). Zudem gelten diese Verhältnisse nur für die Adulten und nicht für die schnellwachsenden Knochen von Jungtieren, sondern es handelt sich um die Grundumsatzwerte zur Aufrechterhaltung der Knochenmineralisation eines adulten ausgewachsenen Skeletts. Störungen im Skelettaufbau und bei der Carapaxform werden aber meist bei jungen vergleichsweise schneller wachsenden Tieren beobachtet, genauso wie man rachitische Skelettveränderungen auch bei Jungtieren anderer Spezies oder bei Kindern häufiger und ausgeprägter beobachten kann. Dabei meine ich auch nicht ein zu schnelles Wachstum, sondern das auch in der Natur vorherrschende als normal zu bezeichnende schnellere Wachstum von Jungtieren im Vergleich zu dem geringen Zuwachsraten der Adulttiere (siehe z. B. Rouag et al. 2007, Congdon et al. 2013). In dieser Arbeit stellen die Autoren klar heraus, dass es für Jungtiere bzw. Jungschildkröten durchaus auch in der Natur zu einem P-Mangel kommen kann, da eben P nicht nur für das Skelett notwendig ist, sondern im wachsenden Gewebe ein Großteil der P-Menge für die RNS-Synthese und in geringerem Umfang wohl auch für die DNS-Synthese gebraucht und gebunden wird. Deshalb schreiben sie auch, dass der Gesamtbedarf an P sowohl vom der Skelett als auch von der Zuwachsrate bestimmt wird, denn jede neu gebildete Zelle (auch Knochenzelle) braucht erst DNS wie auch RNA, um zu existieren (wie schon bei Bidmon 2014 ausgeführt gibt es da sogar noch mehr wie z. B. ATP und phosphorylierte Proteine etc., die bei schnellem Zuwachs P benötigen). Obwohl Pflanzen verhältnismäßig viel P enthalten, ist es daher gar nicht so unwahrscheinlich, dass P trotzdem zum Mangelfaktor werden kann, wie es von Hazard et al. (2010) schon für Gopherschildkröten beschrieben worden ist (siehe auch Bidmon 2009). Wenn bislang nur Gopherschildkröten und Süßwasserschildkröten wie hier diesbezüglich untersucht worden sind heißt das ja nicht, dass es nicht auch für andere Arten zutrifft. Deshalb halte den Kommentar und die angeführten Argumente zur Studie von Gramanzini et al. (2013) auch derzeit noch für durchaus berechtigt. Da würde ich – solange mir Veterinärmediziner/innen nicht eine Studie mit entsprechenden echten Daten für Schildkröten dazu vorlegen – so manche Ernährungsempfehlung durchaus noch anzweifeln, denn daran scheint mir derzeit noch weit mehr rein spekulativ zu sein als an diesen eher ökologisch ausgerichteten Arbeiten. Zumal die Daten von Gramanzini et al. (2013) ja auch für eine bessere Knochenmineralisation bei „anscheinend suboptimaler“ artifizieller Fütterung sprechen, genauso wie die Arbeit von Lapid et al. (2005) anscheinend weniger Mängel mit einer artifiziellen „Hyperdiät“ beobachteten.

Literatur

Bidmon, H.-J. (2009): Ernährungsgrundlagen und Darmpassagezeiten bei herbivoren Landschildkröten – oder wie selektierende Nahrungsgeneralisten auch unter extremen Bedingungen überleben: Eine Übersicht. – Schildkröten im Fokus 6(1): 3-26 ➚.

Bidmon, H.-J. (2014): Kommentar zu: Hazard, L. C., D. R. Shemanski & K. A. Nagy (2010): Nutritional Quality of Natural Foods of Juvenile and Adult Desert Tortoises (Gopherus agassizii): Calcium, Phosphorus, and Magnesium Digestibility. – Journal of Herpetology 44(1): 135-147 oder Abstract-Archiv.

Congdon, J. D. , J. W. Gibbons, R. J. Brooks, N. Rollinson & R. N. Tsaliagos (2013): Indeterminate growth in long-lived freshwater turtles as a component of individual fitness. – Evolutionary Ecology 27: 445-459 oder Abstract-Archiv.

Gramanzini, M., N. Di Girolamo, S. Gargiulo, A. Greco, N. Cocchia, M. Delogu, I. Rosapane, R. Liuzzi, P. Selleri & A. Brunetti (2013): Assessment of dual-energy x-ray absorptiometry for use in evaluating the effects of dietary and environmental management on Hermann’s tortoises (Testudo hermanni). – American Journal of Veterinary Research 74(6): 918-924 oder Abstract-Archiv.

Hazard, L. C., D. R. Shemanski & K. A. Nagy (2010): Nutritional Quality of Natural Foods of Juvenile and Adult Desert Tortoises (Gopherus agassizii): Calcium, Phosphorus, and Magnesium Digestibility. – Journal of Herpetology 44(1): 135-147 oder Abstract-Archiv.

Lapid, R. H., I. Nir, & B. Robinzon (2005): Growth and body composition in captive Testudo graeca terrestris fed with a high-energy diet. – Applied Herpetology 2(2): 201-209 oder Abstract-Archiv.

Rouag, R., S. Benyacoub, L. Luiselli, E. H. El Mouden, G. Tiar & C. Ferrah (2007): Population structure and demography of an Algerian population of the Moorish tortoise, Testudo graeca. – Animal Biology 57(3): 267-279 oder Abstract-Archiv.