Rafferty, A. R. & R. D. Reina (2014): The influence of temperature on embryonic developmental arrest in marine and freshwater turtles. – Journal of Experimental Marine Biology and Ecology 450: 91-97.
Der Einfluss der Temperatur auf den embryonalen Entwicklungsstillstand bei Meeres- und Wasserschildkröten.
DOI: 10.1016/j.jembe.2013.10.018 ➚
Eine zeitlich begrenzte Unterbrechung der Embryonalentwicklung kann sowohl vor als auch nach der Eiablage bei Schildkröten erfolgen. Die Entwicklungsunterbrechung, die vor der Eiablage erfolgt, ist ein obligater Bestandteil des Lebenszyklus eines jeden Schildkrötenembryos und tritt immer dann auf, solange die Eier im Eileiter bis zur Eiablage gehalten werden und etwas darüber hinaus. Diese vor der Eiablage stattfindende „Diapause“ des Embryos erlaubt es den Müttern auf den optimalen Zeitpunkt zur Eiablage zu warten und gewährleistet zudem den Embryonen eine gewisse Flexibilität, um auf Umweltbedingungen zu reagieren, die direkt nach der Eiablage vorherrschen. Nach der Eiablage unterliegen die Schildkrötenembryonen im Wesentlichen den auftretenden Inkubationsbedingungen, was insbesondere für die Temperatur zutrifft, die einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklungsraten und den Schlupferfolg hat. Wir führten hier eine vergleichende Untersuchung über den Einfluss der Temperatur durch, um zum ersten herauszufinden, wie sie der vor der Eiablage einsetzende Entwicklungsstillstand beeinflusst, und zum zweiten zu erforschen, wie viele der Embryonen es nicht schaffen, die Entwicklung wiederaufzunehmen und zum dritten untersuchten wir den Schlupferfolg. Dazu verwendeten wir Eier der Suppenschildkröte (Chelonia mydas), und jene von weiteren Wasserschildkrötenarten wie der Westlichen Schlangenhalsschildkröte (Chelodina oblonga), der Östlichen Schlangenhalsschildkröte (Chelodina longicollis) sowie der Spitzkopfschildkröte (Emydura macquarii). Wir inkubierten die sich noch im Entwicklungsstillstand befindenden Eier einer jeden Art bei drei unterschiedlichen Temperaturen (niedrig, mittel, hoch) und überwachten die direkt nach der Eiablage einsetzende Embryonalentwicklung über die gesamte Inkubationsperiode hinweg. Wir beobachteten zwischen den verschiedenen Spezies so genannte interspeziesspezifische Unterschiede der Temperatur auf den vor der Eiablage eingetretenen Entwicklungsstillstand, bei der nachfolgenden Entwicklung und beim Schlupferfolg. Eines der Hauptergebnisse dieser Studie war der Befund, dass sich in Abhängigkeit zur Temperatur außer bei E. macquarii die notwendige Zeit, bis sich der sichtbare weiße Fleck bildet, nicht signifikant unterschied (hierbei handelt es sich um das erste sichtbare Anzeichen der Embryonalentwicklung nach der obligaten Embryoruhephase). Letzteres legt nahe, dass die Wiederaufnahme der Entwicklung und das Brechen der Ruhephase nach der Eiablage unabhängig von der einwirkenden Temperatur erfolgen. Zudem fanden wir, dass, obwohl die Anzahl der Embryonen von C. mydas, die sich erfolgreich entwickelten, bei allen Testtemperaturen durchweg sehr hoch lag (97-100 %), bei C. oblonga und E. macquarii eine signifikante Anzahl an Eiern ihre Entwicklung über alle Temperaturen hinweg nicht aufnahmen. Sowohl bei der niedrigen als auch bei der hohen Temperatur lag die Embryomortalitätsrate für C. oblonga Embryonen bei jeweils 95 % und 60 % und für E. macquarii bei 53 % bzw. 24 %. Diese Beobachtungen bringen uns einen Schritt voran, um zu verstehen, warum der Ausfall der Wiederaufnahme der Embryonalentwicklung nach der Eiablage so hohe Raten an Embryomortalität im Frühstadium verursacht und zu einer niedrigen Schlupfrate bei Schildkröten beiträgt.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Diese Arbeit enthält eine gute Einleitung zum Thema mit einer sorgfältigen Literaturauswertung. Die Autoren beschreiben auch genau die Bedingungen, denen die Nester im Freiland ausgesetzt sind. Wann die Eiablagen erfolgen und wie lange die natürliche Freilandinkubation dauert oder dauern kann. Ferner haben die Autoren mit C. oblonga ein interessantes Vorexperiment gemacht und beschrieben, dass aber nicht in die Auswertung einging. jedoch zeigt, dass die Bildung des „Weißen Flecks“ als erstes Anzeichen des Entwicklungsbeginns nach der Eiablage bei dieser Spezies nur bedingt Temperatur-unabhängig erfolgte, denn in diesem Vorexperiment inkubierten sie die Eier direkt nach der Ablage bei 16 ºC und da bildete sich dann während einer Zeitspanne von 38 Tagen kein weißer Fleck. Anschließend erhöhten sie die Temperatur auf 28 ºC, wobei sich dann noch bei 2 Eiern ein weißer Fleck bildete und ein Ei sich sogar bis zum Schlupf entwickelte.
In der echten ausgewerteten Serie lag die niedrige Inkubationstemperatur bei 24 ºC, die mittlere bei 28 ºC und die hohe bei 32 ºC für C. mydas und bei den Wasserschildkröten bei 16 ºC, 22 ºC und 28 ºC und die niedrig inkubierten Eier wurden nachfolgend nicht mehr wärmer inkubiert. Die abgestorbenen Eier wurden präpariert, um das embryonale Entwicklungsstadium zu bestimmen, in denen die Embryonen abstarben. Aus dieser Studie lässt sich ableiten, dass die Eier sehr wahrscheinlich eine kurze Kälteperiode um die 16 ºC vertragen, aber danach mindestens 28 ºC für eine möglichst hohe Schlupfrate brauchen. Sicher, letzteres lässt sich sicher nicht so einfach auf andere Arten übertragen, es gibt aber für jene eine generelle Richtung vor, die selber experimentieren wollen.
Was mir hier noch unklar geblieben ist, wäre die Frage nach der Befruchtungsrate, denn die Studie macht dazu keine Angaben und so wäre es interessant zu wissen, ob die Eier, die bei höherer und mittlerer Temperatur keine Anzeichen einer fortschreitenden Entwicklung zeigten, unbefruchtet waren oder gar andere Mängel hatten. Siehe auch: Rafferty & Reina (2012) und Rafferty et al. (2013).
Literatur
Rafferty, A. R. & R. D. Reina (2012): Arrested embryonic development: a review of strategies to delay hatching in egg-laying reptiles. – Proceedings of the Royal Society of London Series B – Biological Sciences 279(1737): 2299-2308 oder Abstract-Archiv.
Rafferty, A. R., R. G. Evans, T. F. Scheelings & R. D. Reina (2013): Limited oxygen availability in utero may constrain the evolution of live birth in reptiles. – American Naturalist 181(2): 245-253 oder Abstract-Archiv.
Galerien
Chelodina longicollis – Glattrückige Schlangenhalsschildkröte
Chelonia mydas – Grüne Meeresschildkröte
Emydura macquarii – Breitrand-Spitzkopfschildkröte