Mazaris, A. D., A. S. Kallimanis, J. D. Pantis & G. C. Hays (2013): Phenological response of sea turtles to environmental variation across a species’ northern range. – Proceedings of the Royal Society B – Biological Sciences 280(1751): 20122397.
Phänologische Reaktionen der Meeresschildkröten auf Umweltveränderungen entlang des nördlichen Verbreitungsgebiets einer Spezies.
Variationen bei den Umweltfaktoren (z. B. Temperatur), die Bestandteil des globalen Klimawandels sind, wurden hier in Beziehung zu saisonal erfolgenden Veränderungen und deren Verschiebung im Jahreszyklus gesetzt, und zwar für eine große Anzahl von Organismen. Die meisten Studien, die solch phänologische Verschiebungen im Jahreszyklus für individuelle Taxa untersuchen, fokussieren sich dabei auf eine geringe Anzahl von Lokalitäten, Letzteres erschwert wiederum die Erfassung, wie solche zeitlichen Verschiebungen regional innerhalb des Gesamtverbreitungsgebiets einer Art variieren. Hier benutzten wir 1445 Berichte über die frühesten Eiablagen bei der Unechten Karettschildkröte (Caretta caretta) an den verschiedenen Niststränden auf unterschiedlichen Kontinenten und in den verschiedenen Jahren über einen weiten Bereich an Breitengraden (25-39 Grad N), und wir zeigen, dass der Gradient aus der Beziehung von Temperatur und Datum der ersten Eiablage mit zunehmenden Breitengraden steiler wird, sodass die phänologischen Reaktionen auf die Temperatur am deutlichsten in den polnahen Gebieten, also am Verbreitungslimit, hervortreten. Diese Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass die biologischen Anpassungsreaktionen im Bezug zum Klimawandel am ehesten und deutlichsten in den Bereichen des Gesamtverbreitungsgebiets zu Tage treten, die den Polen am nächsten liegen, was mit der MacArthur-Hypothese übereinstimmt, die besagt, dass die polnahen Verbreitungsgebietsgrenzen für eine Art durch die Umwelt bestimmt werden. Unsere Daten deuten an, dass die den Polen am nächsten liegenden Populationen der Unechten Karettschildkröte sensitiver auf den Klimawandel reagieren und deshalb die Auswirkungen der damit verbunden Veränderungen sowohl früher als auch deutlicher zeigen werden.
Kommentar von H.-J. Bidmon
Nun, ich denke, diese Befunde waren zu erwarten, und sie sind einleuchtend (siehe auch Sommers et al. 2009). Letztendlich sind es immer die Individuen einer Art, die die Randbereiche von deren Gesamtverbreitungsgebiet bewohnen, die empfindlicher reagieren als jene, die im optimalen Zentrum leben, da sie ja immer an der Grenzsituation zwischen Optimalhabitat und Nicht-Mehr-Bewohnbarer-Umwelt existieren müssen (sprich an der Grenze einer gerade noch mit dem Überleben vereinbarbaren Jahresdurchschnittstemperatur und jener, die darunter oder darüber liegt. Für Schildkröten siehe dazu Vinke & Vinke 2004). An dieser Grenze kann ein kühles Jahr den Verlust aller Gelege für die Population bedeuten, genauso wie mehrere warme Jahre einen bedeutenden Populationszuwachs mit sich bringen können, solange auch die Ernährungsgrundlagen dazu ausreichen. Aber gerade Letzteres scheint ja in den kälteren, meist nahrungsreicheren Meereszonen nicht das Problem zu sein und mit dafür verantwortlich zu sein, dass manche wechselwarme Arten sich überhaupt bis an diese Grenze heranwagen können.
Diese Arbeit macht uns aber noch etwas deutlich, was wir nicht vergessen sollten, denn solch global verbreitete, wechselwarme Spezies scheinen auch vom Klimawandel zu profitieren, zumindest dann, wenn es sich dabei um eine Erwärmung handelt. Sie können sich nämlich mit zunehmender Erwärmung weiter nach Norden und Süden ausbreiten. Zudem sollten wir nicht unbedingt davon ausgehen, dass eine Klimaerwärmung nur zum Verlust von Arten führt. Sicher das mag dort der Fall sein, wo sich die Wüsten- und Dürrezonen ausbreiten, aber ganz sicher nicht dort, wo feucht-warme neue Regionen entstehen und besiedelbar werden. In den meisten Gebieten, in denen heute die so genannten Biodiversitätshotspots für Schildkröten und viele andere Tiere und Pflanzen liegen wie der Amazonasregenwald oder Teile Südostasiens, liegt die Jahresdurchschnittstemperatur wesentlich höher als zum Beispiel in den artenärmeren Regionen dieses Planeten. Deshalb ist, wie in frühren Epochen der Erdgeschichte auch, eher davon auszugehen, dass sich die Biodiversitätshotspots verschieben als verschwinden und wenn welche verschwinden, dann auch an anderer Stelle neue entstehen. Was wäre so schlimm daran, wenn wie uns die Fossilfunde zeigen, Hippopotamus bzw. Pelusios ähnliche Spezies die Themse wie einst in vergangener Zeit wieder besiedeln oder gar Emys orbicularis ihren Lebensraum wieder nach Schweden hin ausdehnt? Wir sollten nicht so tun, als wäre das etwas völlig unerwartet Neues, nein, wie die Fossilfunde belegen, gab es das schon einmal. Diese Veränderungen aufhalten zu wollen, käme doch dem Versuch gleich, die Kontinentaldrift stoppen zu wollen – oder? Sicher sollten wir uns bemühen, die globale Erwärmung nicht durch den Raubau an über Jahrmillionen angesammelten abgelagerten Energieträgern zusätzlich anzuheizen, aber wir sollten auch nicht so tun, als könnten wir solche Phänomene auf diesem Planeten vollends kontrollieren. Diesbezüglich lehrt uns ja gerade die Paläobiologie, dass es Warm- und Kaltzeiten schon häufiger und anscheinend immer im Wechsel gab. Im Bezug zum Artenschutz bzw. im Sinne einer dynamischen Arterhaltung sollten wir viel eher das Problem der Konnektivität und wie wir sie im Sinne der Nachhaltigkeit möglichst hochhalten können zur Kenntnis nehmen (siehe Lee 2011).
Literatur
Lee, H. (2011): Climate change, connectivity, and conservation success. – Conservation Biology 25(6): 1139-1142 oder Abstract-Archiv.
Sommer, R. S., C. Lindqvist, A. Persson, H. Bringsoe, A. G. J. Rhodin, N. Schneeweiss, P. Široký, L. Bachmann & U. Fritz (2009): Unexpected early extinction of the European pond turtle (Emys orbicularis) in Sweden and climatic impact on its Holocene range. – Molecular Ecology 18(6): 1252-1262 oder Abstract-Archiv.
Vinke, T. & S. Vinke (2004): Vermehrung von Landschildkröten: Grundlagen, Anleitungen und Erfahrungen zur erfolgreichen Zucht. – Offenbach (Herpeton Verlag Elke Köhler), 189 S.
Galerien
Caretta caretta – Unechte Karettschildkröte