Chinesische Streifenschildkröte, Mauremys sinensis, und eine Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta, – © Si-Min Lin

Lin - 2024 - 01

Lin, F.-C., P.-J. L Shaner, M.-Y. Hsieh, M. J. Whiting & S.-M. Lin (2024): Trained quantity discrimination in invasive red-eared slider and a comparison with the native stripe-necked turtle. – Animal Cognition 27(1): 26.

Antrainierte quantitative Unterscheidungsfähigkeit bei der invasiven Rotwangen-Schmuckschildkröte im Vergleich mit der einheimischen Chinesischen Streifenschildkröte.

DOI: 10.1007/s10071-024-01850-0 ➚

Chinesische Streifenschildkröte, Mauremys sinensis, – © Hans-Jürgen Bidmon
Chinesische Streifenschildkröte,
Mauremys sinensis,
© Hans-Jürgen Bidmon

Über die Verhaltens- und kognitiven Merkmale, die den Erfolg einer Invasion am besten vorhersagen, ist wenig bekannt. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass die kognitive Leistungsfähigkeit mit dem Überleben und der Fruchtbarkeit korreliert sind, zwei Schlüsselfaktoren für die erfolgreiche Etablierung invasiver Populationen. Wir untersuchten die Fähigkeit der weltweit invasiven Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans) Mengen zu unterscheiden. Außerdem verglichen wir diese Fähigkeit mit denen der einheimischen Chinesischen Streifenschildkröte (Mauremys sinensis), die bereits zuvor auf ihre überlegene Fähigkeit zur Mengenunterscheidung hin untersucht worden war. Unsere Versuchspläne zielten insbesondere darauf ab, die Lernfähigkeit bei steigendem Schwierigkeitsgrad von Zahlenpaaren (so genannte Tests mit festem Zahlenwert) und die unmittelbare Reaktion darauf zu quantifizieren, wenn die Schildkröten in denselben Tests gleichzeitig mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert wurden (so genannte Tests mit gemischtem Zahlenwert). Unsere Ergebnisse bestätigen die bemerkenswerte Fähigkeit von Süßwasserschildkröten, numerische Unterschiede bis zu einem Wert von 9 gegenüber 10 (Verhältnis = 0,9) zu erkennen, was mit der Leistung der Chinesischen Streifenschildkröte vergleichbar ist. Die Rotwangen-Schmuckschildkröte zeigte jedoch einen moderaten Leistungsabfall bei Tests mit hohem Zahlenverhältnis, was auf eine möglicherweise verbesserte kognitive Fähigkeit zur Anpassung an neue Herausforderungen hindeutet. Unser Versuchsaufbau ist wiederholbar und lässt sich an eine Reihe von Süßwasserschildkröten anpassen. Diese Ergebnisse unterstreichen die potenzielle Bedeutung der kognitiven Forschung für die zugrundeliegenden Mechanismen der erfolgreichen Invasion von Arten.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Rotwangen-Schmuckschildkröte, Trachemys scripta elegans, – © Hans-Jürgen Bidmon
Rotwangen-Schmuckschildkröte,
Trachemys scripta elegans,
© Hans-Jürgen Bidmon

Diese Arbeit zeigt sehr schön, dass eben auch mehrere Schildkrötenspezies Mengen quantitativ erfassen und unterscheiden können (siehe dazu auch Lin et al., 2021 und den dortigen Kommentar). Damit zeigen sie wie andere Arten auch eine durchaus komplexe Befähigung zur Kognition (siehe auch Cassil & Watkins, 2022 und den dortigen Kommentar). Ja, und anscheinend gehört das auch zu den adaptiven Fähigkeiten an neue Umweltbedingungen, sowohl in Bezug auf die Haltungsbedingungen in menschlicher Obhut, wie auch an die lokalen Umweltbedingungen die zur Besiedlung neuer Lebensräume (invasiv) notwendig sind (Szabo et al. (2020a). Etwas, das diese beiden Arten, man möchte fast sagen, global auf allen Kontinenten außerhalb Antarktikas derzeit praktizieren (Bidmon, 2024). Zu dieser Komplexität gehört, wie oben von den Autoren erwähnt, auch die Reproduktionsleistung, die ja auch schon von Iverson (2024) hervorgehoben wurde. Jetzt wird sich mancher beim Lesen des Abstracts fragen, warum die Autoren T. s. elegans einen moderaten Leistungsabfall bescheinigen, aber dennoch eine bessere kognitive Leistungsfähigkeit vermuten? Nun, hier wird es eben noch komplexer, denn wer Neues zügiger lernen will, muss auch „Vergessen“ können! Will sagen, dass sich zwar trotz gleicher Befähigung M. sinensis die einzelnen quantitativen Testpaare ein wenig länger einprägt als T. s. elegans, aber, dass Letztere dabei vermutlich neue Testpaarungen minimal schneller erlernen kann als M. sinensis. Dieser letztere Unterschied zwischen den beiden Spezies war aber nur gering und bedarf sicherlich weiterer Untersuchungen. Diese komplexen Fähigkeiten sind zwar hier nur in Bezug auf die Numerosität getestet worden, erinnern mich aber dennoch auch an das, was schon in Bezug auf Szabo et al. (2020b) kommentiert wurde. Dabei finde ich es zumindest interessant wie sich im Wandel der Zeit auch neue Einsichten und manchmal sogar so naheliegende Erkenntnisse gewinnen lassen die diesen komplexen biologischen Leben und damit auch den dieses Leben ausmachenden Lebewesen trotz evolutiver Unterschiede wohl zugrunde liegen (siehe Reber et al., 2023).

Literatur

Bidmon, H.-J. (2024): Commercially assisted migration – Invasive species and their future in a globalized world: A perspective. – Artikel-Archiv.

Cassill, D.L. & A. Watkins (2022): Nest-site choice by loggerhead sea turtles as a risk-management adaptation to offset hatching failure by unpredictable storms and predators. – Frontiers in Ecology and Evolution 10: 850091 oder Abstract-Archiv.

Iverson, J. B. (2024): Reproductive Output in the Pond Slider, Trachemys scripta, in Arkansas, USA, with Range-Wide Comparisons. – Chelonian Conservation and Biology 22(2): 197-205 oder Abstract-Archiv.

Lin, F.-C., M. J. Whiting, M.-Y. Hsieh, P.-J. L. Shaner & S.-M. Lin (2021): Superior continuous quantity discrimination in a freshwater turtle. – Frontiers in Zoology 18(1): 49 oder Abstract-Archiv.

Reber, A. S., W. B. Miller, P. Slijepcevic & F. Baluška (2023): The CBC theory and its entailments: Why current models of the origin of consciousness fail. – EMBO Reports 25(1): 8-12; DOI: 10.1038/s44319-023-00004-6 ➚.

Szabo, B., I. Damas-Moreira & M. J. Whiting (2020a): Can cognitive ability give invasive species the means to succeed? A review of the evidence. – Frontiers in Ecology and Evolution 8(1): 187; DOI: 10.3389/fevo.2020.00187 ➚.

Szabo, B., D. W. A. Noble & M. J. Whiting (2020): Learning in non-avian reptiles 40 years on: advances and promising new directions. – Biological reviews of the Cambridge Philosophical Society 96(2): 331-356 oder Abstract-Archiv.

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