Geller - 2022 - 01

Geller, G. A. & S. L. Parker (2022): What Are the Primary Cues Used by Mammalian Predators to Locate Freshwater Turtle Nests? A Critical Review of the Evidence. – Frontiers in Ecology and Evolution 9: 784786.

Welches sind die primären Merkmale, die von räuberischen Säugetieren genutzt werden, um die Nester von Süßwasserschildkröten zu lokalisieren? Eine kritische Übersichtsarbeit zur Befundlage.

DOI: 10.3389/fevo.2021.784786 ➚

Biologen, die über Schildkröten arbeiten, sind seit langem an den biologischen und nicht-biologischen Faktoren interessiert, die einen Einfluss auf die Auffindbarkeit von Süßwasserschildkrötennestern durch räuberische Säugetiere haben. Ein Zuwachs beim Wissen über die Dynamiken bei den Nestplünderungen könnte deshalb dabei helfen Erhaltungsstrategien zu entwickeln die den Nesterhalt und Schlupferfolg verbessern, indem sie dazu beitragen die Faktoren zu verändern oder abzuschwächen die in der Hauptsache zur Nestauffindung beitragen. Trotz dieses seit langer Zeit bestehenden Interesses wurden bislang nur inkonsistente und manchmal auch widersprüchliche Forschungsergebnisse in unterschiedlichen Studien erarbeitet. Hier liefern wir einen Überblick über die bestehende Literatur zur Nestplünderung bei Süßwasserschildkröten durch Säugetiere und wir adressieren in einer Synthese daraus einige zugrundeliegende Themenschwerpunkte. Die verfügbaren Daten legen nahe, dass Waschbären (Procyon lotor) hauptsächlich olfaktorische Signale nutzen, die mit der Nisthöhlenanlage in Beziehung stehen, um die Nester zu lokalisieren. Allerdings einige andere Räuber einschließlich der Füchse (Vulpes vulpes) und einige andere Caniden nutzen wahrscheinlich ein wesentlich breiteres Spektrum an Signalen wie den Geruch von nistenden Schildkröten und von deren Eiern sowie auch visuell wahrnehmbare Merkmale während ihrer Nahrungssuche. Die Literatur lässt auch den Schluss zu, dass die Länge der Periode, in der die Nester anfällig für eine Nestplünderung sind von der vor Ort vorherrschenden Beutegreiferzusammensetzung abhängig ist, wobei Waschbären ein relativ kurzes Zeitfenster haben und einige andere Caniden ein längeres Zeitfenster nutzen können, um Nester zu lokalisieren. Diese Übersichtsarbeit verweist zudem auf eine deutlich auf Nordamerika konzentrierte Literaturdatenlage was auf die Notwendigkeit verweist zusätzliche Studien auch für andere Regionen der Welt durchzuführen wo Schildkröten als ein bedrohtes Faunenelement im Biom bekannt sind.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun, im Wesentlichen verdeutlicht dieser Review das Bild, was wir schon kennen und schon öfter berichtet haben (siehe Stichwort Beutegreifer oder Nestplünderung im CS-Archiv) wobei sich auch gezeigt hat, dass auch Wildschweinen dabei eine bedeutende Rolle zukommt. Allerdings da wichtige Thema der Landschaftsveränderung und auch der Faunenveränderung durch die Ausrottung oder starken Reduzierung der sogenannten Makroprädatoren wie Wolf, Braun- oder Grislybären und Großkatzen bleibt meist unberücksichtigt. Denn dort wo diese zurückgedrängt oder gar ausgerottet wurden nimmt die Anzahl der Klein- und Mesoprädatoren wie Waschbären, Füchse, Schakale, Wildschweine derart schnell zu, dass es den Schildkrötenweibchen schwerfällt sich evolutiv an diese Beutegreiferverschiebung anzupassen. Ja und wenn dann noch Vegetationsveränderungen wie Aufforstungsmaßnahmen dazukommen, die dazu beitragen, dass z. b. sonnenbeschienene, warme Nistplätze knapp werden, so dass sich die Nester nur noch innerhalb kleiner Flächen konzentieren wird es den Nestplünderen noch leichter gemacht sie zu lokalisieren. Dabei sollten wir aber auch nicht vergessen, dass die Rolle während der Evolution die Selektion spielt, die wir durch künstliche Nestschutzmaßnahmen oder sogar schon in Nachzucht- und Headstartprogrammen schon sehr früh eigentlich außer Kraft setzen. Denn Selektion bedeutet ja erstmal, dass in der freien ungeschützten Natur nur jene Schlüpflinge eine Chance haben das Adultstadium zu erreichen, die aus Nestern schlüpften, die von den Müttern so angelegt worden waren, dass sie nicht gefunden und geplündert wurden. Dabei kann man eigentlich davon ausgehen, dass sich diese Eigenschaften auch vererben könnten, denn es geht dabei nicht nur um Verhaltensanpassungen. Es könnten auch biochemische Anpassungen dazu beitragen wie z. B. eine Veränderung beim Geruch der mit den Eiern ausgeschieden Flüssigkeit ect., die es den Beutegreifern erschweren könnte gerade diese Nester zu finden. Denn letztendlich müssen wir festhalten, dass die Schildkröten die wir heute noch als rezente Arten auf diesem Planeten finden es geschafft haben im Rahmen der Koevolution mit ihren Beutegreifern so zu koexistieren, dass sie überleben konnten und dazu hat sicherlich auch die Selektion als wichtiger Faktor beigetragen. Selbst wenn es sich dabei nicht um Süßwasserschildkröten handelt, ist diesbezgl. die Arbeit von Burns et al., (2020) sehr aufschlussreich. Siehe dazu auch Amstrong et al., (2018); Purger et al., (2023), Van Dyke et al., (2019) und die dortigen Kommentare.

Literatur

Armstrong, D. P., M. G. Keevil, N. Rollinson & R. J. Brooks (2018): Subtle individual variation in indeterminate growth leads to major variation in survival and lifetime reproductive output in a long-lived reptile. – Functional Ecology 32(3): 752-761 oder Abstract-Archiv.

Purger, J. J., T. G. Molnár, Z. Lanszki & J. Lanszki (2023): European Pond Turtle (Emys orbicularis) Nest Predation: A Study with Artificial Nests. – Biology 12(3): 342 oder Abstract-Archiv.

Van Dyke, J. U., R. Spencer, M. B. Thompson, B. Chessman, K. Howard & A. Georges (2019): Conservation implications of turtle declines in Australia's Murray River system. – Scientific Reports 9(1): 1-12 oder Abstract-Archiv.