Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, – © Hans-Jürgen Bidmon

Esteban - 2020 - 01

Esteban, N., J. A. Mortimer, H. J. Stokes, J.-O. Laloë, R. K. F. Unsworth & G. C. Hays (2020): A global review of green turtle diet: sea surface temperature as a potential driver of omnivory levels. – Marine Biology 167: 183.

Eine globale Übersicht über die Ernährung von Suppenschildkröten: Die Meeresoberflächentemperatur ist der potentielle Faktor für das Ausmaß der Omnivorie.

DOI: 10.1007/s00227-020-03786-8 ➚

Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, – © Hans-Jürgen Bidmon
Grüne Meeresschildkröte,
Chelonia mydas,
© Hans-Jürgen Bidmon

Um die Ernährungsbedingungen und Ernährungsbedürfnisse wie den Nahrungswechsel sowie die trophischen Interaktionen für die gefährdete Suppenschildkröte (Chelonia mydas) besser zu verstehen führten wir eine umfassende globale Übersicht anhand einer tabellarischen Literaturzusammenstellung (177 Studien) durch, die die individuelle Ernährungsweise für Suppenschildkröten mit einer Carapaxlänge über 25 cm beschreibt. Wir analysierten diese Studien daraufhin inwieweit sie für natürliche Lokalitäten und für gesunde Individuen die relativen Proportionen aller genutzter Nahrungskomponenten aufführen (67 Studien, 89 Datensätze aus 75 Lokalitäten aus 13 geographischen Unterregionen aus drei Ozeanen). Wir verglichen die natürliche von den Tieren gewählte Nahrungszusammenstellung für jede geographische Subregion, die Ernährungslokalität sowie die Nutzung von vier Nahrungskomponenten: Seegras, Makroalgen, terrestrische Pflanzen (einschließlich der Mangroven) und tierische Nahrungsanteile. Um die Oberflächentemperatur des Meerwassers (SST) als einen Umweltfaktor zu ermitteln nutzten wir die Daten von Wettersatelliten (für einzelne Jahre) und für lokalitätenspezifische Wetterbeobachtungen (für die aufgeführte Studiendauer) und setzten diese Daten in Beziehung zu den jeweiligen Ernährungsdatensätzen. Die Satellitendaten zeigten, dass an den Orten wo die Meeresoberflächentemperatur wärmer (> 25 °C für >= 6 Monate pro Jahr) war die Ernährung überwiegend herbivor erfolgte (durchschnittlich = 92,97 %; SE = 9,85; n = 69 Datensätze). In Lokalitäten in höheren Breitengraden und kälteren Wasserströmungen mit einer Meerwasseroberflächentemperatur unter < 20 °C für mehr als >= 6 Monaten pro Jahr) bestand die Nahrung aus einem überwiegenden Anteil an tierischer Nahrung (durchschnittlich = 51,47 %; SE = 4,84; n = 20 Datensätze). Lokalitätenspezifische Beobachtungen ließen erkennen, dass die SST einen kleinen, wenn auch signifikanten Einfluss auf die Bevorzugung von tierischer Nahrung (r(2) = 0,17, P = < 0.001) und Seegras (r(2) = 0,24, P = < 0,001) hatte, aber keine Auswirkungen auf die Aufnahme von Makroalgen und terrestrischer Pflanzen hatte. Unsere Studie ist die erste, die quantitative Beweise anhand einer globalen Skala dafür liefert, dass die Temperatur einen wesentlichen Faktor für eine omnivore Ernährungsweise darstellt. Damit liefert sie neue Erkenntnisse für das Verständnis in Bezug auf die beschriebenen, Unterschiede bei der Ernährung von Suppenschildkröten, die insbesondere im Hinblick auf eine mit dem Klimawandel einhergehende globale Erwärmung interessant sein dürften.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Sehr geehrte Leser/innen mir ist bekannt, dass sich die wenigsten von ihnen mit Meeresschildkröten praktisch beschäftigen und sie sich höchstens im Urlaub an diesen Tieren bei einer Begegnung erfreuen. Ich habe dennoch diesen Abstract gewählt, weil es für uns Schildkrötenhalter/innen wieder einmal auf einen wesentlichen ernährungsphysiologischen Aspekt aufmerksam macht und letzteres finden wir in der Schildkrötenliteratur eigentlich sehr selten. Da melden sich eher jene zu Wort die zwar irgendwann einmal was von „Metabolic bone disease“ Knochenstoffwechselerkrankung gehört haben, aber kaum verinnerlicht haben welche grundlegenden, physiologischen Aspekte für Ernährung und Metabolismus bei wechselwarmen Tieren es zu beachten gilt. Diese Arbeit zeigt uns nämlich sehr schön wie abhängig auch die natürliche Nahrungsauswahl mit von der Temperatur beeinflusst wird und abhängig ist. Um proteinreiche Nahrung zu verdauen brauchen die Schildkröten nicht nur mehr Wasser, sondern diese Nahrung lässt sich im Gegensatz zu ballaststoffreicherer pflanzlicher Nahrung leichter verdauen und somit ist dabei auch der Energiegewinn für die Schildkröten in einer optimaleren Gesamtbilanz. Letzteres ist eigentlich, wenn Sie so wollen ein Grundgesetz der Ernährungsphysiologie, welches wir nur oft bei Säugern und Vögeln etwas vernachlässigen, weil bei den homoiothermen eben die Temperatur (und damit auch die Verdauungstemperatur) auf einem essentiellen Niveau konstant gehalten wird. Sprich wir können es uns auch im Winter leisten vegan zu leben! Diese Arbeit zeigt eigentlich sehr schön, dass selbst als herbivor beschriebene Meeresschildkröten freiwillig etwa 51 % tierische Nahrung auswählen, wenn die Meerwasseroberflächentemperatur längerfristig die +20 °C Marke nicht überschreitet. Dann scheinen sie anscheinend ihren optimalen Gesamtenergiebedarf nicht mehr allein durch herbivore Kost gewährleisten zu können. Die Autoren beschreiben zwar auch einen sehr kleinen Anteil den dabei die tierische Kost von vornherein einnimmt, aber das lässt sich leicht damit erklären, dass im Meer die kälteren Strömungen die energiereicheren sind und somit auch insgesamt mehr tierische Kost vorhanden ist im Vergleich zu wärmeren und damit oft auch sauerstoffärmeren Meerwasserzonen. Bei der mittel-nordeuropäischen Haltung herbivorer Landschildkröten beobachten wir ähnliches, denn auch hier werden gern proteinreiche, leichter verdauliche Kräuter gefressen und auch tierische Kost wird, wenn vorhanden oft nicht verschmäht; ja und weil es in diesen Regionen auch nicht zu trocken ist stellt diese Ernährungsform sie auch vor weniger Probleme in Bezug auf den erhöhten Wasserbedarf im Vergleich zu den wesentlich wärmeren semiariden. mediterranen Ursprungslebensräumen (siehe dazu auch Bidmon, 2009). Ja und letztendlich haben mit nur wenigen Ausnahmen die meisten Schildkröten eben einen optimalen Temperaturbereich zwischen +27-30 °C (siehe dazu McMaster & Downs, 2008; Rodrigues et al., 2018; Falcón et al., 2018).

Literatur

Bidmon, H.-J. (2009): Ernährungsgrundlagen und Darmpassagezeiten bei herbivoren Landschildkröten – oder wie selektierende Nahrungsgeneralisten auch unter extremen Bedingungen überleben: Eine Übersicht. – Schildkröten im Fokus 6(1): 3-26 ➚.

Falcón, W., R. P. Baxter, S. Furrer, M. Bauert, J. M. Hatt, G. Schaepman-Strub, A. Ozgul, N. Bunbury, M. Clauss & D. M. Hansen (2018): Patterns of activity and body temperature of Aldabra giant tortoises in relation to environmental temperature. – Ecology and Evolution 8(4): 2108-2121 oder Abstract-Archiv.

McMaster, M. K. & C. T. Downs (2008): Digestive parameters and water turnover of the leopard tortoise. – Comparative Biochemistry and Physiology – Part A Molecular and Integrative Physiology 151(1): 114-125 oder Abstract-Archiv.

Rodrigues, J. F. M., F. Villalobos, J. B. Iverson & J. A. F. Diniz-Filho (2018): Climatic niche evolution in turtles is characterized by phylogenetic conservatism for both aquatic and terrestrial species. – Journal of Evolutionary Biology 32(1): 66-75 oder Abstract-Archiv.

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