Zierschildkröte, Chrysemys picta, im Gartenteich – © Hans-Jürgen Bidmon

Bodensteiner - 2023 - 01

Bodensteiner, B. L. J. B. Iverson, C. A. Lea, C. L. Milne-Zelman, T. S. Mitchell, J. F. Refsnider, K. Voves, D. A. Warner & F. J. Janzen (2023): Mother knows best: nest-site choice homogenizes embryo thermal environments among populations in a widespread ectotherm. – Philosophical Transactions of The Royal Society B Biological Sciences 378(1884).

Mutter weiß es am besten: Nistplatzauswahl vereinheitlicht die thermischen Umweltbedingungen zwischen Populationen bei einem weitverbreiteten ektothermen Lebewesen.

DOI: 10.1098/rstb.2022.0155 ➚

Zierschildkröte, Chrysemys picta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Zierschildkröte, Chrysemys picta,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Arten mit einem großen geographischen Verbreitungsgebiet sind exzellente Modellarten für Untersuchungen die zeigen wie unterschiedliche Populationen auf ungleiche lokale Umweltbedingungen reagieren insbesondere im Hinblick auf die klimatischen Bedingungen. Mütterliche Einflussnahme, wie die Nistplatzauswahl haben bedeutende Auswirkungen auf die Phänotypen der Nachkommen und deren Überlebensfähigkeit. Demzufolge besitzt das mütterliche Verhalten das Potential die verschiedenen Auswirkungen von klimatischen lokalen Unterschieden die sich über das Verbreitungsgebiet hinweg ergeben abzumildern. Wir markierten die natürlichen Nistareale bei sechs Populationen der Zierschildkröte (Chrysemys picta) die eine breite Spanne an Breitengraden umfasste und anschließend quantifizierten wir die räumlichen und zeitlichen Unterschiede bei den Nestcharakteristiken. Um eine Quantifizierung der für die Weibchen zur Auswahl verfügbaren Mikrohabitate durchzuführen, identifizierten wir zudem Flächen innerhalb des jeweiligen lokalen Nistareals, die repräsentativ für verfügbare thermische Mikrohabitate standen. Über das Verbreitungsgebiet hinweg zeigten die Weibchen eine nicht zufällige, sondern eine gezielte Mikrohabitatauswahl, die sich durch eine geringere Baumkronenbedeckung auszeichnete und deshalb höhere Nesttemperaturen gewährleistete. Die Nestmikrohabitate unterschieden sich zwar zwischen den Lokalitäten zeigten aber keine vorhersagbaren Unterschiede in Bezug zum Breitengrad oder in Bezug zu den weit zurück reichenden mittleren Lufttemperaturen, die während der Entwicklungszeit der Embryonen vorherrschten. Im Zusammenhang mit anderen Studien über diese Populationen zeigen unsere Ergebnisse, dass die Nistplatzauswahl zu einer Vereinheitlichung bei den Nestumweltbedingungen führt, die die Embryonen vor einer thermisch induzierten Selektion bewahrt und dazu beitragen kann die Evolution der Embryonen zu verlangsamen. Obwohl dieses Vorgehen sich auf einer Makroklimatischen–Skala als effektiv erweisen erscheint dieses Verhalten aber als nicht geeignet, um für sich schnell ereignende neue Stressfaktoren zu kompensieren wie z. B. für rasch erfolgende lokale Temperaturanstiege. Dieser Artikel ist Teil der Themenausgabe: Die Evolutionsökologie von Nestern: Ein Taxon übergreifender Forschungsansatz.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine schöne Arbeit, die zum einen für eine weitverbreitete Spezies zeigt, dass die Schildkrötenweibchen anscheinend unabhängig vom Breitengrad oder der Lokalität nach Nistplätzen suchen die die Embryonalentwicklung gewährleisten und überall ähnliche Bedingungen bieten und dass sich daraus nicht erwarten lässt, dass sie die Nistplätze so auswählen, dass sie damit den sich mit dem Klimawandel erhöhenden Temperaturen insoweit ausweichen, dass damit ausgeglichene Geschlechterverhältnisse gewährleistet werden könnten. Es bleibt aber meiner Meinung nach offen, ob das auch zukünftig so bleiben würde, denn es gibt auch diesbezüglich Reptilien, die sich anpassen (Du et al., 2023). Zum anderen ist klar, dass sie Nistplätze wählen müssen, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vom Temperaturprofil her eine vollständige Embryonalentwicklung ermöglichen. Insofern sind sie diesbezüglich ziemlich eingeschränkt, aber wie uns die Arbeit von Deem et al. (2023) auch zeigt sind es ja auch nur geringfügige Temperaturunterschiede bzw. Höhenunterschiede, die schon zu einer gravierenden Verschiebung bei den Geschlechterverhältnissen führen. Auch bei einer Klimaerwärmung wird dies dazu führen, dass die Temperaturprofile nicht in jedem Jahr gleich ausfallen werden und insofern, denke ich, zeichnen sich zwei Szenarien, zumindest für langlebige Spezies ab: 1. Die Temperaturen werden in manchen Jahren so sein, dass mehrheitlich nur Weibchen schlüpfen und 2. in einigen Jahren können die Temperaturen auch für eine Anzahl der Nistplätze gerade zur Geschlechtsfestlegungsphase so absinken, dass sich Männchen entwickeln auch, wenn die Temperaturen danach wieder ansteigen. Ein drittes Szenario könnte darin bestehen, dass die Temperaturen in einigen Jahren Spitzenwerte erreichen, die für die sich entwickelnden Embryonen letal wären. Die Mütter sollten aber zu kühl bleibende Nistplätze möglichst vermeiden (Iverson, 2022; siehe auch Krueger & Janzen, 2023 und die dortige Literatur), wenn sie die Überlebenschancen für den sich entwickelnden Nachwuchs möglichst hochhalten wollen. Wie die obige Studie zeigt, tun sie genau das. Um aber solche Aussagen wie die in dieser durchaus guten Arbeit wirklich abzusichern, braucht man riesige Datenmengen, um über einen etliche Jahre umfassenden Zeitraum eine gute statistisch abgesicherte Befundlage zu erstellen! Denn wenn ich das einmal mit der Ursachensuche für die menschliche Prädisposition für bestimmte Krankheiten oder Risikofaktoren für eben solche vergleiche, sprechen wir mindestens von hohen 5 bis sechsstelligen Zahlen! Insofern kann man das nur als Vermutung bewerten, gegen die eigentlich spricht, dass viele Schildkrötenspezies aufgrund der fossilen Daten schon Warmzeiten wie auch Kaltzeiten überdauert haben müssen. Ja, und wenn man mal etwas spekulieren möchte, sollte man auch nicht ganz vergessen, dass solche Klimaveränderungen natürlich auch mittel- bis längerfristig zu Anpassungen führen, die sich erst bei den nachfolgenden Generationen beobachten ließen. Soll heißen, dass wir diese bei den heute agierenden Muttertieren, die sich ja noch unter den früheren Umweltbedingungen entwickelt hatten, vielleicht noch gar nicht beobachten können. Solche Verschiebungen, so würde man erwarten, würden ja schrittweise von Generation zu Generation erfolgen und auch um einen solchen Nachweis zu führen bräuchte es voraussichtlich riesige Datenmengen, um sie statistisch abgesichert zu belegen auch dann, wenn es Beispiele für schnelle adaptive Evolutionsereignisse schon für andere Taxa gibt. Insofern bin ich da etwas zuversichtlich, dass die Schildkröten das schaffen (siehe auch Carter et al., 2019). Schlimm würde es nur, wenn die Azidifizierung so weit geht, dass diese ans Wasser gebundenen Arten gar keines mehr vorfinden würden (Lovich et al., 2017.).

Evolution hat zwar – soweit wir es bis heute wissen – kein gerichtetes Ziel, so wie manche meinen, sondern realisiert nur ziellos, ungeahnte Variationsmöglichkeiten und insofern denke ich, dass die Titeleinleitung „Mother knows best“ gut gewählt wurde! Denn was könnten die Weibchen sonst tun? Selbst wir wissen nicht genau genug, was die Temperaturanstiege auslösen werden (siehe z.B. Christ et al., 2023; Murali et al., 2023) und wie schnell damit zum Beispiel steigende vulkanische Aktivität zu lokalen starken Temperaturschwankungen führen würden (siehe Aubry et al., 2022; 2021; Iverson, 2022). Ja, der Planet hätte wahrscheinlich sogar die Möglichkeit, die CO2-Menge so drastisch zu reduzieren, dass er wieder einmal langfristig ganz einfriert (Wei-Haas, 2023). Insofern versuchen wir diese ganzen Beobachtungen eigentlich auf eine prognostische Art und Weise zu deuten, die uns zwar die Auswirkungen des durch Menschen verursachten Klimawandels verdeutlichen sollen, aber wir haben eigentlich noch kein gutes, wissenschaftlich haltbares Referenzsystem dafür (siehe auch Witze, 2023). Wissenschaftlich gut abgesicherte Daten basieren ja auf dem, was bekannt ist, während die Realität, wie ich es nenne, auch auf dem basiert, was wir noch nicht wissen!

Deshalb sollten wir aber auch nicht meinen, dass das Zitat von Karl Jaspers, das natürlich rein der menschlichen Sichtweise entspricht, völlig sinnlos ist: „Das Unheil menschlicher Existenz beginnt, wenn das wissenschaftlich Gewusste für das Sein selbst gehalten wird und wenn alles, was nicht wissenschaftlich ist, als nicht existent gilt“.

Siehe auch Bowden & Paitz (2021); Leivesley et al., (2022) und die dortigen Kommentare.

Literatur

Aubry, T. J., J. I. Farquharson, C. R. Rowell, S. F. L. Watt, V. Pinel, F. Beckett, J. Fasullo, P. O. Hopcroft, D. M. Pyle, A. Schmidt & J. Staunton-Sykes (2022): Impact of climate change on volcanic processes: current understanding and future challenges. – Bulletin of Volcanology 84(58): 2-11; DOI: 10.1007/s00445-022-01562-8 ➚.

Aubry, T. J., J. Staunton-Sykes, L. R. Marshall, J. Haywood, N. L. Abraham & A. Schmidt (2021): Climate change modulates the stratospheric volcanic sulfate aerosol lifecycle and radiative forcing from tropical eruptions. – Nature Communications 12(1): 4708; DOI: 10.1038/s41467-021-24943-7 ➚.

Bowden, R. M. & R. T. Paitz (2021): Is Thermal Responsiveness Affected by Maternal Estrogens in Species with Temperature-Dependent Sex Determination? – Sexual Development 15(1): 69-79 oder Abstract-Archiv.

Carter, A. L., B. L. Bodensteiner, J. B. Iverson, C. L. Milne-Zelman, T. S. Mitchell, J. M. Refsnider, D. A. Warner & F. J. Janzen (2019): Breadth of the thermal response captures individual and geographic variation in temperature‐dependent sex determination. – Functional Ecology 33(10): 1928-1939 oder Abstract-Archiv.

Christ, A. J., T. M. Rittenour, P. R. Bierman, B. A. Keisling, P. C. Kuntz, T. B. Thomsen, N. Keulen, J. C. Fosdick, S. R. Hemming, J.-L. Tison, P.-H. Blard, J. P. Steffenson, M. W. Caffee, L. B. Corbett, D. Dahl-Jensen, D. P. Dethier, A. J. Hidy, N. Perdrial, D. M. Peteet, E. J. Steig & E. K. Thomas (2023): Deglaciation of northwestern Greenland during Marine Isotope Stage 11. – Science 381(6655): 330–335; DOI: 10.1126/science.ade4248 ➚.

Deem, S. L., S. Rivera, A. Nieto-Claudin, E. Emmel, F. Cabrera & S. Blake (2023): Temperature along an elevation gradient determines Galapagos tortoise sex ratios. – Ecology and Evolution 13(4): e100008 oder Abstract-Archiv.

Du, W.-G., S.-R. Li, B.-J. Sun & R. Shine (2023): Can nesting behaviour allow reptiles to adapt to climate change? – Philosophical transactions of the Royal Society of London. Series B, Biological sciences 378(1884): 20220153; DOI: 10.1098/rstb.2022.0153 ➚.

Iverson, J. B. (2022): Climate-Mediated Recruitment Failure in a Turtle Population and Its Bearing on Northern Limits of Distribution. – Chelonian Conservation and Biology 21(2): 181-186 oder Abstract-Archiv.

Krueger, C. J. & F. J. Janzen (2023): On the origin of patterns of temperature-dependent sex determination. – Evolution 77(4): 1091-1100; DOI: 10.1093/evolut/qpad029 ➚.

Leivesley, J. A., E. G. Nancekivell, R. J. Brooks, J.D. Litzgus & N. Rollinson (2022): Long-Term Resilience of Primary Sex Ratios in a Species with Temperature-Dependent Sex Determination after Decades of Climate Warming. – The American Naturalist 200(4): 532-543 oder Abstract-Archiv.

Lovich, J. E., M. Quillman, B. Zitt, A. Schroeder, D. E. Green, C. Yackulic, P. Gibbons & E. Goode (2017): The effects of drought and fire in the extirpation of an abundant semi-aquatic turtle from a lacustrine environment in the southwestern USA. – Knowledge and Management of Aquatic Ecosystems 418(18): 1-11 oder Abstract-Archiv.

Murali, G., T. Iwamura, S. Meiri & U.Roll (2023): Future temperature extremes threaten land vertebrates . – Nature 615(7952): 461-467 oder Abstract-Archiv.

Wei-Haas, M. (2023): Lava outburst may have led to Snowball Earth: Eruption dates suggest chemical weathering of rocks triggered plunging temperatures. – Science 381(6654): 120; DOI: 10.1126/science.adj7021 ➚.

Witze, A. (2023): This quiet lake could mark the start of a new Anthropocene epoch: The transition is recorded in the contaminated sediment at the bottom of Crawford Lake in Canada. – Nature 619: 441-442; DOI: None ➚.

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