Pellitteri-Rosa - 2010 - 01

Pellitteri-Rosa, D., R. Sacchi, P. Galeotti, M. Marchesi & M. Fasola (2010): Do Hermann's tortoises (Testudo hermanni) discriminate colours? An experiment with natural and artificial stimuli. – Italian Journal of Zoology 77(4): 481-491.

Können Griechische Landschildkröten (Testudo hermanni) Farben unterscheiden? Ein Experiment mit natürlichen und artifiziellen Stimuli.

DOI: 10.1080/11250000903464067 ➚

Viele Tiere nutzen chemische und visuelle Signale, um verlässliche Informationen über potentielle Nahrungsressourcen zu gewinnen. Bei den meisten Reptilien hat die Evolution zur Ausbildung hochgradig spezialisierter chemosensorischer und visueller Fähigkeiten geführt, insbesondere auch in Bezug auf das Farbsehen, was es ihnen ermöglicht ihre Aufgaben zu meistern. Indem wir den Tieren sowohl Blüten als auch eingefärbte Pappscheiben in einem Auswahlexperiment mit zwei Wahlmöglichkeiten reichten, untersuchten wir, ob männliche und weibliche Griechische Landschildkröten (Testudo hermanni) in der Lage sind, zwischen verschiedenen Farben zu unterscheiden und ob sie dabei eine Präferenz für bestimmte Farben zeigen. Wir fanden, dass beide Geschlechter in gleicher Weise Farben unterscheiden können, wobei sich allerdings einige Unterschiede zwischen der Farbauswahl bei den Pappscheiben oder echten Blüten ergaben. Im Speziellen kam heraus, dass die Schildkrötenmännchen bei den Farbscheiben eine höhere Bevorzugung für die Farbe Rot zeigten, während bei den echten Blüten beide Geschlechter die rote Blüte nicht beachteten, wobei es sich um Mohnblüten von Papaver rhoeas handelte. Dies zeigt, dass Griechische Landschildkröten sehr wahrscheinlich zwei Systeme, nämlich visuelle und olfaktorische Fähigkeiten nutzen, um Futter auszuwählen und die Aufnahme von bestimmten Nahrungsbestandteilen wie Mineralien und Karotinoiden zu optimieren. Unsere Ergebnisse zeigen eindeutig, dass diese Landschildkröten die Farbe Gelb bevorzugen, was andeutet, dass sie nach dem Karotingehalt selektieren. Diesbezüglich diskutieren wir die potentielle Bedeutung dieser Befunde.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Beim Lesen dieses Abstracts können Sie mit Recht anmerken, dass das doch längst bekannt ist, denn alle Wasserschildkrötenhalter kennen solche Farbpräferenzen und zumindest nach den Arbeiten von Simang et al. (2010) und Wilkinson et al. (2007, 2010) sollte klar sein, dass dies auch auf Landschildkröten zutrifft. Insofern haben die Autoren das halt hier nun auch explizit für T. hermanni bestätigt. Der Reiz dieser Arbeit liegt jedoch in der Bedeutung der Ergebnisse, die so nebenbei erzielt wurden. Zum einen, hätten Sie auch auf Gelb getippt? Ich habe eigentlich von vielen, die sich dazu in der Vergangenheit äußerten, eher Rot gehört! Die zweite, eigentlich bedeutendere Nebensächlichkeit ist darin zu sehen, dass die zweitliebste Farbe bei den geruchlosen Scheiben durchaus die Farbe Rot war, nicht aber bei den echten Mohnblüten, was die Autoren darauf zurückführen, dass Mohn auch giftige Alkaloide enthält, so dass die Schildkröten bei der olfaktorischen Erkennung solcher Stoffe dann eher auf ihren Geruchsinn vertrauen als auf das Sehsystem und bei freier Auswahl, dann doch lieber eine andere Farbe wählen, die mit keinem gefährlichen Geruch assoziiert ist – auch wenn Mohn in Italien zu den Futterpflanzen gehört, denn in dieser Studie wurden nur Blüten von potentiell im Freiland genutzten Futterpflanzen zur Auswahl angeboten. Doch auch bei den Gelbtönen wurde eindeutig Hellgelb einem Dunkelgelb vorgezogen. Dieser Befund war in Bezug auf die echten Blüten auch Anlass für die Autoren nach dem Grund zu fragen, und – wie sie in ihrer ausführlichen Diskussion darlegen –, scheinen die Schildkröten die höchste Präferenz für Gelbfarbtöne zu haben, die einen hohen Karotinoidgehalt signalisieren. Dieser Befund wird auch in der Diskussion sehr ausführlich abgehandelt, so dass diese Arbeit auch dadurch glänzt, dass sie eine gute Literaturquelle für die Bedeutung der zur Vitamin A-Synthese notwendigen Karotinoide und ihrer Metabolite sowie deren Bedeutung für die Reptilienernährung darstellt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch gleich auf ein durchaus gelungenes Buch über Futterpflanzen für Schildkröten hinweisen, das bislang leider nur in Italienisch verfügbar ist (Dovesi et al. 2010). Insofern finde ich diese Arbeit für durchaus lesenswert und gehaltvoll, da sie uns wie die Arbeit von (Henen et al. 2005), die ja auch andeutet, dass die dort untersuchten südafrikanischen Landschildkröten Pflanzen nach der Höhe des Kohlehydrat-, Eisen- und Phosphatgehalts auswählen, daran erinnert, durchaus alles noch mal genau zu beleuchten und zu überdenken. Denn auch da würde man ja nach den gängig gehandelten Ernährungstabellen für Schildkröten eher erwarten, dass sie nach niedrigem Phosphatgehalt selektieren müssten. Warum sie in der Natur genau das Gegenteil machen, lässt sich so einfach nicht beantworten, aber es sollte uns daran erinnern, dass eben nicht alles so sein muss, wie wir als Halter oder einige hauptsächlich an Säugetieren ausgebildete Veterinäre es sich denken und uns erzählen. Forschung beruht darauf, dass man möglichst unvoreingenommen auf das schaut, was man in der Natur beobachtet und dabei versucht, auch Neuem gegenüber offen zu sein. Denn wer immer mit einer felsenfest vorbestimmten Meinung an eine Sache herangeht, wird sehr oft scheitern, denn gerade Neues bislang noch nicht Bekanntes passt ja per se noch in keines der bekannten Schemata, sonst wäre es ja nicht neu. Und da müssen wir uns als Halter und auch als akademisch vorgebildete Veterinäre und Biologen einfach eingestehen, dass bis jetzt an Schildkröten vergleichsweise wenig geforscht wurde und auch in der Ausbildung noch weniger an Wissen vermittelt wurde, und es somit, was diese Tiere anbelangt, für uns alle wohl noch etliches unerwartet Neues zu erkennen und zu verstehen gibt.

Literatur

Dovesi, M., L. Pietta & D. Donati (2010): Principi di alimentazione per tartarughe e altri rettili erbivori. – Ravenna, Italien (TestudoEdizioni) 356 S.

Henen, B. T., M. D. Hofmeyr, R. A. Balsamo & F. M. Weitz (2005): Lessons from the food choices of the endangered geometric tortoise Psammobates geometricus. – South African Journal of Science 101(9-10): 435-438 oder Abstract-Archiv.

Simang, A., P. L. Cunningham & B. T. Henen (2010): Color Selection by Juvenile Leopard Tortoises (Stigmochelys pardalis) in Namibia. – Journal of Herpetology 44(2): 327-331 oder Abstract-Archiv.

Wilkinson, A., H. M. Chan & G. Hall (2007): Spatial learning and memory in the tortoise (Geochelone carbonaria). – Journal of Comparative Psychology 121(4): 412-418 oder Abstract-Archiv.

Wilkinson, A., K. Kuenstner, J. Mueller & L. Huber (2010): Social learning in a non-social reptile (Geochelone carbonaria). – Biology Letters 6(5): 614-616 oder Abstract-Archiv.