Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, ein Albino-Schlüpfling – © Justin R. Perrault

Luschi - 2007 - 01

Luschi, P., S. Benhamou, C. Girard, S. Ciccione, D. Roos, J. Sudre & S. Benvenuti (2007): Marine turtles use geomagnetic cues during open-sea homing. – Current Biology 17(2): 126-133.

Marine Schildkröten nutzen auf offener See geomagnetische Signale während ihrer Heimwanderung.

DOI: 10.1016/j.cub.2006.11.062 ➚

Grüne Meeresschildkröte, Chelonia mydas, – © Hans-Jürgen Bidmon
Grüne Meeresschildkröte,
Chelonia mydas,
© Hans-Jürgen Bidmon

Marine Schildkröten sind geschickte Langstrecken-Navigatoren, die in der Lage sind, weit entfernte Ziele innerhalb ihrer ozeanischen Umwelt anzusteuern; allerdings sind die sensorischen Signale und die Navigationsmechanismen, die sie dazu benutzen, kaum bekannt. Kürzlich durchgeführte Arenaexperimente (siehe Avens & Lohmann (2004)) erbrachten Hinweise, dass dazu magnetische Informationen von jungen Schildkröten genutzt werden, die aus ihrem Lebensraum entfernt worden waren und die sich zur Heimfindung orientieren mussten. Allerdings beantworteten diese Experimente nicht, welche Rolle die geomagnetische Information für die Navigation der Schildkröten in ihrer natürlichen Umgebung spielt. In dem hier vorliegenden Experiment wurden 20 Suppenschildkröten (Chelonia mydas) per Satellit überwacht. Die Schildkröten wurden vor ihrem Niststrand an der Küste der Insel Mayotte im Kanal von Mosambik gefangen und an vier verschieden Orten in 100-120 km Entfernung auf offener See mit Sendern bestückt wieder ausgesetzt. 13 Schildkröten wurden Magneten am Kopf angebracht, entweder während des Transports zum Aussetzungsort oder kurz vor der Freilassung für die Dauer der Heimwanderung (Homing). Alle, bis auf eine Suppenschildkröte kehrten sicher zum Niststrand in Mayotte zurück und vollendeten ihre Eiablage. Allerdings benutzten sie dabei indirekte Routen, wobei sie eine generelle Unfähigkeit zeigten, die sie verdriftenden, ozeanischen Strömungen in ihre Routenplanung mit einzubeziehen, wie uns unsere Daten zur Messung der Meeresströmungen zeigten. Die während der Wanderung mit Magneten bestückten Schildkröten brauchten signifikant länger und legten größere Wegstrecken zurück im Vergleich zu Kontrolltieren, wobei dies auch auf die Tiere zutraf, die während des Transports zum Aussetzungsort mit Magneten bestückt waren. Diese Daten repräsentieren das erste Freilandexperiment, das zeigt, dass geomagnetische Signale zur Navigation von Schildkröten genutzt werden. (siehe auch: Freake et al. (2006)).

Kommentar von H.-J. Bidmon

Dieses Abstrakt zeigt sehr schön, welchen Anteil die Magnetfeldorientierung für die Tiere hat und dass sie nur einen Teil der Orientierungsmöglichkeiten umfasst, denn auch die Tiere, die Magneten zur Störung bei der Wahrnehmung des Erdmagnetfelds mit sich trugen, fanden letztendlich zurück. Sie brauchten nur länger und damit war der Rückweg wohl auch energieaufwändiger. Ebenso zeigt die Studie, dass die Tiere eine Gedächtnisleistung erbringen, denn sie erinnern sich daran, wo sie herkamen und wo sie hin wollen, und insbesondere den Tieren, die die Störmagnete während des Wegtransports trugen, fehlt die Erinnerung an die Magnetfeldinformation aus der Transportphase, denn auch sie brauchten länger um zurückzukehren im Vergleich zu den Kontrolltieren. Hierbei wird auch deutlich, was sehr wahrscheinlich die evolutiv treibende Kraft ist, Energieeffizienz. Denn sie nutzen die Magnetfeldinformationen um möglichst effizient ans Ziel zu kommen. Wenn die Tiere aber im Laufe ihrer Evolution nie Möglichkeiten entwickelt haben, den direkten Weg durch die sie verdriftenden Meeresströmungen zu wählen, liegt es nahe, dass das gerichtete Durchschwimmen solcher Strömungen zu viel Kraft kosten würde und der Umweg sehr wahrscheinlich die energieeffizientere Variante für die Tiere darstellt. Da sie schon so lange diesen Planeten besiedeln, scheint ihnen diese Strategie (bei ihrer Körperform im Vergleich zu z. B. Haien) Vorteile zu bringen, selbst dann, wenn manche früheren Wissenschaftler daraus den „Fehl“-Schluss zogen, sie seien zu keinen gerichteten Wanderungen fähig und ihre Wanderungen seinen eher mit dem Verdriften durch die Strömung und einem zeitweiligen Verharren in nahrungsreichen Gebieten gleichzusetzen. Aber bei dieser zuletzt genannten Betrachtungsweise hat man offensichtlich immer vergessen, dass sie doch irgendwann zur rechten Zeit am richtigen Niststrand wieder angekommen sind. Mal etwas polemisch gefragt: Könnten wir als Menschen aus dieser Überlebensstrategie nicht auch so manches lernen? Manche hitzige, Kräfte zehrende Auseinandersetzung würde sich so erübrigen, denn – wie es uns diese urtümlichen Überlebenskünstler lebensnah zeigen – Umwege in Kauf nehmen muss ja nicht zwangsläufig bedeuten, das Ziel aus den Augen zu verlieren.

Literatur

Avens, L. & K. J. Lohmann (2004): Navigation and seasonal migratory orientation in juvenile sea turtles. – Journal of Experimental Biology 207(11): 1711-1778 oder Abstract-Archiv.

Freake, M. J., R. Muheim & J. B Phillips (2006): Magnetic maps in animals: a theory comes of age? – The Quarterly Review of Biology 81(4): 327-347; DOI: 10.1086/511528 ➚.

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