Waldschildkröte, Chelonoidis denticulata, zwei in freier Wildbahn während einer Studie gefundene Exemplare – © Thais Queiroz Morcatty

Guzman - 2008 - 01

Guzman, A. & P. R. Stevenson (2008): Seed dispersal, habitat selection and movement patterns in the Amazonian tortoise, Geochelone denticulata. – Amphibia-Reptilia 29(4): 463-472.

Samenverbreitung, Habitatauswahl und Bewegungsmuster bei der Waldschildkröte, Geochelone denticulata

DOI: 10.1163/156853808786230442 ➚

Waldschildkröte, Chelonoidis denticulata, – © Thais Queiroz Morcatty
Waldschildkröte,
Chelonoidis denticulata,
© Thais Queiroz Morcatty

Die Waldschildkröte Geochelone denticulata kann eine wichtige Rolle in Bezug auf die Walddynamik spielen, weil sie eine hochgradig frugivore Nahrung (Fruchtfresser) bevorzugt, die Fähigkeit besitzt noch lebende Samen zu verbreiten und als Rastplätze offene Waldflächen zur Thermoregulation bevorzugt. Ziel dieser Untersuchung war es, das Potential und die Effektivität dieser Art als Samenverbreiter zu charakterisieren. Wir bestimmten die Verbreitungsmenge (Häufigkeit von Samen im Kot, Häufigkeit der Kotausscheidung und die Populationsdichte) sowie die Qualität der Samenverbreitung (Bewegungsmuster, Habitatnutzung, Rate der Keimfähigkeit verbreiteter Samen und die Wahrscheinlichkeit des An- und Aufwachsen von Keimlingen an den jeweiligen Orten) in einem Waldgebiet im südwestlichen Amazonien von Peru. Die Populationsdichte wurde mit der Fang-Wiederfang-Methode und anhand der Transektmethode kalkuliert. Acht Individuen waren mit Radiosendern zur Überwachung der Habitatnutzung ausgestattet. Die Nahrung wurde anhand der Kotanalysen erfasst, wobei der Kot ausgewaschen wurde, um die darin enthaltenen Samen zu bestimmen und zu zählen und um sie für Keimexperimente vorzubereiten. Das Überleben der Keimlinge in den unterschiedlichen Habitaten wurde für drei ausgewählte Pflanzenarten aufgezeichnet. Die mit der Fang-Wiederfangmethode erfasste Populationsdichte lag bei 0,15-0,31 Individuen/ha und lag deutlich höher als die mit der Transektmethode erfasste von 0,0025 Individuen/ha. Die Nahrung beinhaltete 55 Pflanzenarten. Die verbreiteten Samen zeigten eine hohe Keimfähigkeit von durchschnittlich 76 %. Trotz ihrer geringen Aktivität konnten wir eine große Verbreitungsdistanz von durchschnittlich 89,6 m feststellen. Die Schildkröten zeigten eine ausgeprägte Präferenz für sumpfige Waldbereiche mit niedriger Baumkronenbedeckung, diese Ortswahl war ungünstig für das dauerhafte Aufwachsen der Keimlinge von den drei Pflanzenarten, die wir diesbezüglich erfassten. Allerdings sorgte die relativ hohe Sonneneinstrahlung an diesen offenen Waldstellen dafür, dass die Keimlinge von Pionierpflanzen eine hohe Überlebensrate über den kurzen Erfassungszeitrum zeigten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass G. denticulata keine sehr effiziente Rolle bezüglich der Gesamtmenge der verbreiteten Samen spielt. Dennoch muss diese Schildkrötenart als bedeutender Samenverbreiter bezüglich der Qualität der Samenverbreitung angesehen werden.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Arbeit liefert gute Einblicke bezüglich der Habitatnutzung und Ernährungsweise von Waldschildkröten. Sie zeigt auch, wie unterschiedlich und vielschichtig die Betrachtung der Samenverbreitung aus Sicht des Botanikers und Forstbiologen sein kann. Dabei ist es eigentlich aus unvoreingenommener Sicht auch interessant, dass der Verbreitungsqualität die höhere Bedeutung beigemessen werden sollte. Wir sind, und das fällt beim Lesen dieser Arbeit auch auf, häufig geneigt, den quantitativen Aspekt überzubewerten, vielleicht weil quantitative Aspekte leichter zu erfassen sind oder sich quantitative Unterschiede leichter statistisch absichern lassen. Aber seien wir doch mal ehrlich, wie würde ein Ur- oder Regenwald aussehen oder überleben können, wenn große Mengen an Samen und Keimlingen aufwachsen würden. Es wäre sicher kein überlebensfähiger Wald mit langlebigen Bäumen, sondern bestenfalls eine Wiese oder ein Gebüsch mit vielen einjährigen Pflanzenarten. Genau das haben auch diese Botaniker beobachtet; die Samen kurzlebigerer Pionierpflanzen keimen und wachsen in großer Zahl, während die Samen aus Früchten langlebiger Bäume sich in Bezug auf das langfristige Überleben im sumpfigen Boden schwer tun, selbst wenn genug Lichteinfall in diesen offenen Stellen vorhanden ist. Denn diese sumpfigen Waldbereiche bleiben wahrscheinlich deshalb relativ offen, weil sich dort großwerdende Bäume mit breiter schwer Baumkrone im weichen Boden nicht oder nur an wenigen geeigneten Stellen halten können. Um die Bedeutung der Schildkröten für die Verbreitung der Samen langlebiger großer Bäume zu erfassen, müsste man die Frage vielleicht anders stellen und die Erhebung anders planen nämlich: Wie lange dauert es, bis eine Waldlichtung, die durch das Umstürzen eines alten Baumes entstanden ist, wieder von einem Keimling eines Baumes ausgefüllt ist, in einem Habitat mit Schildkröten im Vergleich zu einem Habitat ohne Schildkröten. Zu frugivorer Ernährung siehe auch Bidmon (2009).

Literatur

Bidmon, H.-J. (2009): Ernährungsgrundlagen und Darmpassagezeiten bei herbivoren Landschildkröten – oder wie selektierende Nahrungsgeneralisten auch unter extremen Bedingungen überleben: Eine Übersicht. – Schildkröten im Fokus 6(1): 3-26 ➚.

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