Arrauschildkröte, Podocnemis expansa, ein Schlüpfling – © Camila R. Ferrara

Fantin - 2017 - 01

Fantin, C., J. Morais, R. Botero-Arias, C. Araújo, C. Camillo & I. P. Farias (2017): Polyandrous behavior in an overexploited giant South American turtle (Podocnemis expansa) population in Central Amazon, Brazil. – Genetics and Molecular Research 16(1).

Polyandrie-Verhalten bei einer übersammelten Population der großen Südamerikanischen Arrauschildkröte (Podocnemis expansa) in Zentralamazonien, Brasilien.

DOI: 10.4238/gmr16019537 ➚

Arrauschildkröte, Podocnemis expansa, – © Mario Herz
Arrauschildkröte,
Podocnemis expansa,
ein Schlüpfling
© Mario Herz

Das Ziel dieser Studie war eine Untersuchung des Reproduktionsverhaltens bei der großen Arrauflussschildkröte (Podocnemis expansa) im Amazonas. Diese wurde durchgeführt, indem wir das Ausmaß an Polymorphismen für fünf DNS-Mikrosatelliten abschätzten, wobei wir 359 Schlüpflinge aus 12 Nestern in dem Mamirauá Sustainable Development Reservat (Erhaltungsreservat) der Stadt Tefé, im Bundesstaat Amazonas, Brasilien, untersuchten. Eine Analyse der Allelhäufigkeiten und der Unterschiede für die fünf Mikrosatelliten-Loci erlaubte es die multiplen Vaterschaften für alle untersuchten Nester zu bestimmen. An einem der Nester waren mindestens 4 Väter beteiligt, bei sechs weiteren Nestern waren 3 Männchen und bei 5 anderen Nestern 2 Männchen beteiligt. Das Wissen über das Reproduktionsverhalten von P. expansa kann dazu beitragen Management- und Erhaltungsstrategien für diese Population des Mamirauá Reservats zu entwickeln.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun zeigt sich hier wieder ein für etliche Wasser-, Sumpf- und Landschildkröten bekanntes Bild für multiple Vaterschaften (z. B. Refsnider 2009, Fantin et al. 2008; 2010, Ferda et al. 2016). Etwas, das uns wieder einmal daran erinnert, dass ein hoher Genfluss für Schildkrötenpopulationen sehr wichtig zu sein scheint, und dass sich bei vielen Spezies ein Reproduktionsverhalten herausselektioniert hat das dazu beiträgt. Welche Vorteile das mit sich bringt wurde schon von Stiebens et al. (2013) beschrieben und dort auch diskutiert, wobei dem Immunstatus gegenüber Krankheiten und Parasiten eine wichtige Rolle zukommt. Etwas das schon für Galapagosriesenschildkröten ausfürlicher diskutiert wurde (siehe Kommentar zu Loire et al. 2013; Garrick et al. 2014). Ob die multiplen Vaterschaften mit zunehmender Übernutzung der Bestände zunehmen wurde meines Wissens noch nicht wirklich gezeigt. Aber dennoch lässt es einen schon etwas ehrfürchtig auf die Strategien der Natur blicken, denn wenn Übernutzung der Bestände zur Abnahme bei den Nachkommen führt aber die wenigen Nachkommen die es noch gibt durch einen hohen oder zunehmend höheren Genfluss fitgehalten werden, frage ich mich schon so manches Mal wie viel Erhaltungs- oder besser gesagt Überlebensstrategie eine geist- oder kognitionslose Natur an den Tag legt im Vergleich zu so mancher oft zu kurzgedachten menschlichen Erhaltungsmaßnahme. Wir sollten zusehen, dass uns diese neuen molekularen Möglichkeiten auch neue Erkenntnisse und Sichtweisen eröffnen, die uns auffordern sie zu nutzen und auch wirklich genauer hinzuschauen, um zu erkennen was diese Daten uns zeigen. Ja und wie wir sehen bleibt es nicht nur bei multiplen Vaterschaften innerhalb einer Spezies sondern es kann anscheinend auch wesentlich Weitergehen (siehe Bidmon 2017 und die dort zitierte Literatur). Ja gerade hier müssen wir auch immer wieder lernen mit den Erkenntnissen Schritt zu halten, denn vor wenigen Monaten (siehe Bidmon 2017) bin auch ich noch davon ausgegangen, dass solche höher entwickelten Säugetiere wie die Wisente ein gutes Beispiel für die Erholung einer reinrassigen Art im Rahmen einer von uns gemanagten Natur darstellen. Nur zwei Monate später musste auch ich lernen, dass es früher hier zumindest 2 Wisentunterarten gab, die sich genau zu der Zeit, wo ihre Bestände durch Bejagung einbrachen, wieder vermischten (hybrisisierten), ja und es kam sogar zur Hybridisierung mit damaligen Hausrindern (Wecek et al, 2017). Also ganz so reinrassig waren die Wisente, die für diese Bestandserholung genutzt wurden, gar nicht mehr und sie hatten vorher ihre genetische Diversität noch mal „grundlegend“ gesteigert (könnte es sein, dass Bestandsreduktion Hybridisierung fördert, wobei ersteres wohl meist von uns Menschen verursacht wurde und wird?). Somit sind auch sie Introgressionsindividuen! Ob die Kreuzung mit Hausrindern dazu beitrug, dass sich diese Wildtiere besser an die Nachzucht in menschlicher Obhut anpassten, bleibt Spekulation. Das ist aber vor diesem Hintergrund auch nicht gerade unwahrscheinlich. An was uns solche Beobachtungen und wissenschaftliche Befunde auch erinnern sollten ist doch mal simpel ausgedrückt die Tatsache, dass es entscheidend ist was dabei herauskommt oder im speziellen Fall sich „überlebenssichernd“ oder „DNS- und Evolutionslinien-erhaltend“ auswirkt. Ich stimme durchaus nicht mit allen Ansichten Richard Dawkins überein, aber er hat nun mal eine sehr klare biologische „Maßeinheit“ für, wenn sie so wollen, die Erhaltungsbiologie prägnant formuliert, die ich hier nicht wiederholen muss, da ich darauf schon 2004 in meinem Kommentar zu Lee & Hays (2004) verwiesen habe.

Literatur

Bidmon, H.-J. (2004): Kommentar zu: Lee, P. L. M. & G. C. Hays (2004): Polyandry in a marine turtle: Females make the best of a bad job. – Proceedings of the National Academy of Science of the U.S.A. 101(17): 6530-6535 oder Abstract-Archiv.

Bidmon, H.-J. (2017): Sind phylogenetische Stammbäume nur ein Traum? – Schildkröten im Fokus 14(1): 14-27 ➚.

Fantin, C., L. S. Viana, L. A: D: Monjelo & I. P. Farias (2008): Polyandry in Podocnemis unifilis (Pleurodira; Podocnemididae), the vulnerable yellow-spotted Amazon River turtle. – Amphibia-Reptilia 29(4): 479-486 oder Abstract-Archiv.

Fantin, C., I. P. Farias, L. A. Monjeló & T. Hrbek (2010): Polyandry in the red-headed river turtle Podocnemis erythrocephala (Testudines, Podocnemididae) in the Brazilian Amazon. – Genetics and Molecular Research 9(1): 435-40 oder Abstract-Archiv.

Freda, F. P., V. C. D. Bernardes, C. C. Eisemberg, C. Fantin & R. C. Vogt (2016): Relationship between multiple paternity and reproductive parameters for Podocnemis sextuberculata (Testudines: Podocnemididae) in the Trombetas River, Brazil. – Genetics and Molecular Research 15(1): gmr.15017335 oder Abstract-Archiv.

Garrick, R. C., E. Benavides, M. A. Russello, C. Hyseni, D. L. Edwards, J. P. Gibbs, W. Tapia, C. Ciofi & A. Caccone (2014): Lineage fusion in Galápagos giant tortoises. – Molecular Ecology 23(21): 5276-5290 oder Abstract-Archiv.

Loire, E., Y. Chiari, A. Bernard, V. Cahais, J. Romiguier, B. Nabholz, J. M. Lourenço & N. Galtier (2013): Population genomics of the endangered giant Galapagos tortoise. – Genome Biology 14(12): R136 oder Abstract-Archiv.

Refsnider, J. M. (2009): High Frequency of Multiple Paternity in Blanding's Turtle (Emys blandingii). – Journal of Herpetology 43(1): 74-81 oder Abstract-Archiv.

Stiebens, V. A., S. E. Merino, C. Roder, F. J. Chain, P. L. Lee & C. Eizaguirre (2013): Living on the edge: how philopatry maintains adaptive potential. – Proceedings of the Royal Society, Series B Biological Sciences 280(1763): 20130305 oder Abstract-Archiv.

Wecek K., Hartmann S., Paijmans J.L., Taron U., Xenikoudakis G., Cahill J.A., Heintzman P.D., Shapiro B., Baryshnikov G., Bunevich A.N., Crees J.J., Dobosz R., Manaserian N., Okarma H., Tokarska M., Turvey S.T., Wójcik J.M., Zyla W., Szymura J.M., Hofreiter M. & A. Barlow (2017): Complex Admixture Preceded and Followed the Extinction of Wisent in the Wild. – Molecular Biology and Evolution 34(3): 598-612.

Galerien