Spornschildkröte, Centrochelys sulcata, – © Hans-Jürgen Bidmon

Ritz - 2010 - 01

Ritz, J., E. M. Griebeler, R. Huber & M. Clauss (2010): Body size development of captive and free-ranging African spurred tortoises (Geochelone sulcata): high plasticity in reptilian growth rates. – Herpetological Journal 20(3): 213-216.

Die Entwicklung der Körpergröße bei in Gefangenschaft gehaltenen und wild lebenden afrikanischen Spornschildkröten (Geochelone sulcata): Eine Plastizität bei den Zuwachsraten von Reptilien.

DOI: 10.5167/uzh-36147 ➚

Centrochelys sulcata, – © Hans-Jürgen Bidmon
Spornschildkröte,
Centrochelys sulcata,
© Hans-Jürgen Bidmon

In Gefangenschaftshaltung wachsen Landschildkröten meist schneller als ihre Angehörigen in der freien Wildbahn. Hier dokumentieren wir das Wachstum (als Körpermassenveränderung) bei drei Geochelone sulcata über eine außergewöhnliche Periode von nahezu 18 Jahren. Zum Vergleich benutzen wir Zuwachsdaten frei lebender Tiere (gemessen als Carapaxlängenänderung) aus der Literatur. Die Körperlänge erreichte während der langen Beobachtungszeit bei drei gemessenen Tieren ihr Maximum. Nach Transformation der Daten zur Carapaxlänge in Körpermasse für die Daten von den Wildtieren ermittelten wir logistische Zuwachskurven für alle Datenpunkte. Die resultierende Funktion zeigte im Vergleich zu den Wildtieren eine 1,4-2,6-fach höhere Zuwachsrate für die Schildkröten aus der Tierhaltung. Das logistische Zuwachsmodell ergab für die Individuen aus der Tierhaltung eine Abschätzung des Inflexionspunktes der Zuwachskurve bei 6-9 Jahren. Dieser Befund korrelierte mit dem Alter bei Erreichen der Geschlechtsreife, sprich mit der ersten Eiablage des Weibchens und der ersten Masturbation bei einem der Männchen. Der Inflexionspunkt der Wachstumskurve für frei lebende Individuen lag bei einem Alter von etwa 15 Jahren. Die Aufzucht von Landschildkröten unter einem Regime der intensiven Fütterung in Gefangenschaft kann erheblich zur Verkürzung der Generationsfolge führen, was für die Erhaltungszucht für Aufstockungsprogramme dienlich sein kann, während langsam aufwachsende Tiere sich eventuell besser für das Überleben nach der Auswilderung eigenen. Derzeit fehlen jedoch noch Untersuchungen über den Gesundheitsstatus von Jungtieren, die von schnell aufgezogenen Elterntieren abstammen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Grundsätzlich finde ich es gut und begrüßenswert, dass sich die veterinärmedizinische Ernährungs- und Entwicklungsphysiologie dieser Fragestellung zuwendet und zu diesem Problem exakte Daten liefert. Aber ebenso wie die Autoren hier feststellen, fehlen nicht nur Daten über den Gesundheitsstatus von Jungtieren, deren Eltern schneller aufgezogen wurden, sondern es mangelt auch an einer soliden Basis, auf welchen Grundlagen und Voraussetzungen dieses unterschiedliche Wachstum zwischen Wildtieren und Exemplaren in der Tierhaltung beruht, bzw. darüber wann und in welchem Umfang die Wachstumsschübe in der freien Wildbahn erfolgen. Für mein Dafürhalten liegen diese Unterschiede im Wesentlichen daran, dass man in der Tierhaltung keine oder zu kurze Ruhephasen wie Aestivation und/oder Hibernation anbietet, so dass solche Tiere eben allein aufgrund der deutlich verlängerten Aktivitätsphasen im Jahreszyklus mehr Nahrung aufnehmen und längere Wachstumsperioden zeigen. Die Autoren mögen zwar recht haben, dass sich langsamer wachsende Jungtiere besser für die Auswilderung eignen, aber ich würde vermuten, dass Jungtiere, die von Anfang an so aufgezogen werden, dass schon während der Aufzucht die Ruhephasen (Aestivationsphasen) so lange andauern wie im Auswilderungshabitat, am besten geeignet wären, um mit den Unbilden der Natur fertig zu werden. Denn wenn die Daten, die die Tierphysiologen Minnich und Nagy mit ihren Mitarbeitern erarbeitet haben, zutreffen („Jahresenergiebilanzen“, siehe Übersicht Bidmon 2009), dann scheint die Futteraufnahme und Verwertung während der Aktivitätszeiten bei wild lebenden Landschildkröten gar nicht so sehr von jener in der Tierhaltung abzuweichen, so lange kein artifizielles Kraft- oder Mastfutter eingesetzt wird. Lediglich die Dauer der Futteraufnahme mag sich bei Verkürzung oder Wegfall der Ruhephasen verändern. Hier fehlen also noch gravierende Grundlagendaten, ehe man den wahren Grund für diese festgestellten Unterschiede wissenschaftlich belegbar ausgemacht hat (siehe auch Kommentar zu Ritz et al. 2010). Ganz so drastisch sehe ich diese Unterschiede auch nicht, weil wir ja gerade aus der biologisch-ökologischen Grundlagenforschung neue Erkenntnisse gewinnen, dass selbst langlebige Schildkrötenspezies plastisch im Sinne von Zuwachsraten und Endgröße und sogar in Bezug auf den Eintritt der Geschlechtsreife auf veränderte Umweltbedingungen reagieren können (siehe Fordham et al. 2007, Wolak et al. 2010).

Literatur

Bidmon, H.-J. (2009): Ernährungsgrundlagen und Darmpassagezeiten bei herbivoren Landschildkröten – oder wie selektierende Nahrungsgeneralisten auch unter extremen Bedingungen überleben: Eine Übersicht. – Schildkröten im Fokus 6(1): 3-26 ➚.

Fordham, D. A., A. Georges & B. W. Brook (2007): Demographic response of snake-necked turtles correlates with indigenous harvest and feral pig predation in tropical northern Australia. – Journal of Animal Ecology 76(6): 1231-1243 oder Abstract-Archiv.

Ritz, J., C. Hammer & M. Clauss (2009): Body size development of captive and free-ranging leopard tortoises (Geochelone pardalis). – Zoo Biology 29(4): 517-525 oder Abstract-Archiv.

Wolak, M. E., G. W. Gilchrist, V. A. Ruzicka, D. M. Nally & R. M. Chambers (2010): A Contemporary, Sex-Limited Change in Body Size of an Estuarine Turtle in Response to Commercial Fishing. – Conservation Biology 24(5): 1268-1277 oder Abstract-Archiv.

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