Europäische Sumpfschildkröte, Emys orbicularis, – © Hans-Jürgen Bidmon

Poschadel - 2006 - 01

Poschadel, J. R., Y. Meyer-Lucht & M. Plath (2006): Response to chemical cues from conspecifics reflects male mating preference for large females and avoidance of large competitors in the European pond turtle, Emys orbicularis. – Behaviour 143(5): 569-587.

Die Reaktion auf chemische Signale von Artgenossen reflektiert die Paarungspräferenz der Männchen für große Weibchen und die Vermeidung eines Zusammentreffens mit großen Konkurrenten bei der Europäischen Sumpfschildkröte, Emys orbicularis

DOI: 10.1163/156853906776759510 ➚

 Emys orbicularis, Europäische Sumpfschildkröte – © Hans-Jürgen-Bidmon
Europäische Sumpfschildkröte,
Emys orbicularis,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Wir untersuchten die chemische Kommunikation bei männlichen und weiblichen Sumpfschildkröten (Emys orbicularis). In simultanen binären Auswahltests wurden einem bestimmten Tier Pheromone von Artgenossen oder eine Kammer mit unbehandeltem Wasser zur Auswahl angeboten. Die Weibchen zeigten weder gegenüber weiblichen noch männlichen Signalen Auswahlverhalten. Im Gegensatz dazu bevorzugten die Männchen den Geruch von Weibchen im Vergleich zu unbehandeltem Wasser, was vermuten lässt, dass Männchen aktiv nach Weibchen suchen. Die Stärke der Präferenz war positiv korreliert mit dem Körpergrößenunterschied zwischen dem Weibchen (von dem der Duft stammte) und dem getesteten Männchen, was andeutet, dass Männchen eine Paarungspräferenz für große Weibchen zeigen. Der Reproduktionserfolg der Weibchen ist bei E. orbicularis positiv korreliert mit der Körpergröße der Weibchen, was eine Erklärung für die Auswahlpräferenz der Männchen darstellen könnte. Es gab keine generelle Auswahlpräferenz bei den Testmännchen für die Gerüche, die von anderen Männchen stammten. Allerdings war die Stärke einer zu beobachtenden Präferenz negativ korreliert mit der Körpergrößendifferenz der Männchen. Dabei zeigte sich, dass Männchen ein Zusammentreffen mit größeren Männchen vermeiden, während sie kleinere aufsuchen. Dieses Verhalten zeigt, dass die Männchen Dominanzhierarchien bilden, wobei große Männchen die kleineren aggressiv attackieren. Somit scheint es so zu sein, dass die weit reichende chemische Kommunikation es den Männchen ermöglicht, das Risiko von energieverbrauchenden, aggressiven Interaktionen zu minimieren. Dies ist nach unserem Wissensstand, die erste Studie über die Bedeutung von chemischen Signalen zur Inter- und Intrasexuellen Kommunikation bei der Europäischen Sumpfschildkröte.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Eine sehr gute Arbeit, die insbesondere auch für die vielen Halter von E. orbicularis interessante Informationen enthält. Denn wenn die Tiere so auf diese Signale reagieren, ist damit zu rechnen, dass wenn sich zum Beispiel Männchen nicht ausweichen können, ein Haltungsstress entsteht. Dabei zeigt sich auch, da die Pheromone ja gelöst im Wasser übertragen werden, dass aller Wahrscheinlichkeit nach das Einbringen einer Trennvorrichtung, die nicht wasserdicht ist, vor Stress nicht schützt, da sich die Kontrahenten immer noch riechen können. Das solche Situationen zu Haltungs- bzw. auf Dauer zu Gesundheitsproblemen führen können, ist bekannt (siehe Wright 2005). Indirekt zeigt aber auch diese Arbeit, dass die Tiere eine Gedächtnisleistung haben und lernfähig sind, denn sie merken sich, wie sich die Pheromone verschieden großer Artgenossen/innen unterscheiden und wie sie sich daraufhin artgerecht zu verhalten haben. (Mal vereinfacht gesagt: In ihrer Umwelt sind sie sehr wohl dazu fähig zu lernen, wie man einem stärkeren Feind aus dem Weg geht, oder wie man einen begehrten Sexualpartner nach Möglichkeit nachstellt. Ist dass wirklich so sehr verschieden zu dem, was so mancher „Schuljunge“ an intelligentem Verhalten auf so manchem Heimweg an den Tag legt?). Insofern ist fast jedes Lebewesen lernfähig, wobei natürlich und vielleicht aus energetischen Gründen nur Dinge erlernt werden, die für die jeweilige Spezies in ihrer Umwelt überlebensnotwendig sind, die dann aber meist deutlich besser, als wir es von uns selbst her kennen. Sicher kann man sich auf den Standpunkt stellen und sagen, dass sei ja alles nur Umweltanpassung oder gar nur instinktgesteuerte Umweltanpassung. Aber dann kann ich auch sagen, dass das letztendlich auch auf uns zutrifft. Wir mussten uns nur am Ende der Nahrungskette an eine etwas komplexere Umwelt anpassen in der zum Beispiel „Rechnen Können“ einen innerartlichen Selektionsvorteil haben kann. Andererseits aus Sicht von Emys orbicularis wären wir „Faulschlammdoof“, weil wir unter Wasser weder unsere Partner noch unsere Feinde früh genug ohne Hilfsmittel erkennen könnten. Daraus lässt sich leicht erkennen, wie die Evolution und der Selektionsdruck auch uns formen, denn für uns ist abstraktes Denkvermögen mit einem Selektionsvorteil verbunden, so dass wir uns so genannte Hilfsmittel konstruieren können. Insofern nutzt es nichts, sich um ungelegte Eier zu streiten, sondern man muss schon die Dinge etwas differenzierter betrachten, wenn man ein artspezifisches Basislernverhalten von abstraktem Denkvermögen und dem daraus resultierenderen, komplexeren Lernverhalten unterscheiden will. Beiden gemeinsam ist nur, dass jede Form von bekanntem Lernverhalten sowohl einem umweltbedingten wie innerartlichem Selektionsdruck unterliegt.

Literatur

Wright, K. (2005): Beyond POTZ: Environmental influences on reptile healing. – Exotic DVM Veterinary Magazine 7(4): 11-15 oder Abstract-Archiv.

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