Strahlenschildkröte, Astrochelys radiata, ein Männchen frisst Blätter des Spindelstrauchs oder Pfaffenhütchens, Euonymus europaeus, – © Hans-Jürgen Bidmon

Paquette - 2010 - 01

Paquette, S. R., E. E. Louis & F. J. Lapointe(2010): Microsatellite Analyses Provide Evidence of Male-Biased Dispersal in the Radiated Tortoise Astrochelys radiata (Chelonia: Testudinidae). – Journal of Heredity 101(4): 403-412.

Mikrosatellitenanalysen liefern Beweise für eine Männchen-lastige Verteilung von Mikrosatelliten bei der Strahlenschildkröte Astrochelys radiata (Chelonia: Testudinidae).

DOI: 10.1093/jhered/esq020 ➚

Strahlenschildkröte, Astrochelys radiata, – © Hans-Jürgen Bidmon
Strahlenschildkröte,
Astrochelys radiata,
© Hans-Jürgen Bidmon

Verbreitung und Verteilung ist einer der Hauptfaktoren die Einfluss auf die genetische Struktur und die Populationsdynamik einer Spezies haben. Somit ist das Verständnis dieser Vorgänge entscheidend für die Formulierung entsprechender Erhaltungsstrategien. Bei vielen Arten wirken auf die Geschlechter unterschiedliche evolutive Selektionsdrücke und eine direkte Folge daraus ist, dass es zu einer asymmetrischen Verteilung (im Sinne des Genflusses) zwischen Männchen und Weibchen kommt. Diese Tatsachen sind für Vögel und Säugetiere sehr gut belegt wurden aber nur selten bei anderen Taxa einschließlich der Reptilen und im speziellen für nicht-marine Schildkröten untersucht. Für diese Arten gibt es viele Untersuchungen zur Nistplatztreue und dies wird meist nur unter dem Aspekt des „natal homing“ (Rückkehr zum Niststrand) betrachtet.

Hier untersuchten wir die geschlechtsabhängige Verteilung (von Mikrosatelliten) bei Strahlenschildkröten im südlichen Madagaskar. Mit Hilfe von 13 Mikrosatellitenmarkern wurde das Muster der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Individuen beiderlei Geschlechts für zwei Populationen untersucht. Alle durchgeführten „Mantel Tests“ (statistische Analyseverfahren zur Untersuchung zweier Datensätze auf Korrelation) ergaben eine signifikante Isolation mit zunehmender geographischer Entfernung für die weiblichen Individuen. Allerdings fand sich dieses Muster nicht bei den Männchen. Zusätzlich wurde dieser Befund noch gestützt durch „Räumliche Autokorrelationsanalysen“ sowie durch zwei analytische Untersuchungen die so angelegt waren, dass damit die genetischen Trends bei der geschlechtsabhängigen Ausbreitung aufgezeigt werden konnten. Beide Verfahren belegten eine von den Männchen verursachte Verbreitung. Jedoch lieferten die Vergleiche über die Gesamtheit der genetischen Struktur zwischen den unterschiedlichen Lokalitäten der Probenentnahmen keine schlüssigen Befunde für eine sehr ausgeprägte Philopatrie (gleichbleibende Nistplatzwahl) bei den Weibchen. Allerdings sind diese Tests durch methodische und biologische Fehler nur von geringem statistischen Gewichts.
Strahlenschildkröten zeigen sowohl Polyandrie wie auch Polygynie. Die evolutiven Prozesse die zu einer geschlechtsabhängigen Verbreitung führen können werden im Zusammenhang mit der Nistbiologie der Landschildkröten diskutiert. Wir stellen die Hypothese auf, dass Weichen basiertes „natal homing“ ein größeres Ausmaß der Polyandrie in Bezug auf die weiblichen A. radiata erklärt. Diese Befunde zeigen dass eine Notwendigkeit besteht zusätzliche verlässliche Daten über das Ausmaß des „natal homing“ bei Landschildkröten zu bekommen, da diese Verhaltensweise direkte Auswirkungen auf das Arterhaltungsmanagement haben dürften.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hierbei handelt es sich um eine sehr aufschlussreiche Arbeit die zum einen einleitend die schon so oft diskutierte Wichtigkeit der Genflüsse innerhalb von Populationen und Arten hervorhebt und die zeigt, dass es bei der Strahlenschildkröte wie bei den daraufhin untersuchten Meeresschildkröten, die Männchen sind die für einen verstärkten Genfluss innerhalb der Populationen sorgen. Beobachtungen aus artifizieller Tierhaltung sind zwar diesbezüglich immer mit Vorsicht zu genießen, aber sie deuten zumindest an, dass die Weibchen bezüglich der Nistplatzwahl eine gewisse Flexibilität zeigen, aber wenn möglich innerhalb eines Geheges oft auch die gleiche Niststelle jedes Jahr wieder aufsuchen.
Nach meinen eigenen Beobachtungen merkt sich jedes Weibchen wo es Eier abgelegt hat und es kommt kaum vor das ein und dasselbe Weibchen das Zweitgelege an gleicher Stelle wie das Erstgelege innerhalb eines Jahres ablegt. Es sind meistens andere Weibchen die dann ein solches Gelege ausgraben um ihr eigenes dort zu platzieren. Es soll sogar Weibchen geben die sich in den ersten Tagen nach ihrer Ablage wenn noch ein zweites Weibchen ablegen will wieder auf ihren Nistplatz setzen um diesen zu blockieren. Ein durchaus auch im Freiland sinnvolles Verhalten für eine Art bei der die Weibchen pro Jahr 3-6 Gelege absetzen und deren Eier im Freiland auch in Madagaskar durchschnittlich 263 Tage (Leuteritz & Ravolanaivo 2005) bis zum Schlupf inkubieren. Ebenso müssen die Weibchen geeignete z.B. beschattete Plätze wählen und deren Lage kann sich im Laufe des Lebens verändern (siehe Diaz-Paniagua et al. 2006). Diese Flexibilität dürfte auch ein Grund dafür sein, dass man nicht so leicht eine Nistplatztreue für solche Arten nachweisen kann. Generell ist bei solchen Untersuchungen der Begriff Nistplatztreue vorab zu definieren: Ist es ein 1m2 großes Areal indem ein Weibchen z. B. 3 Gelege pro Jahr absetzt oder muss man auch schon das als Nistplatztreue bezeichnen, wenn ein Weibchen seine Nester jedes Jahr innerhalb eines 1-3 Hektar großen Areals platziert. Vor diesem Hintergrund wird auch klar, warum die Wissenschaft bessere Daten zur Beurteilung der Bedeutung der Nistplatztreue für das Erhaltungsmanagement braucht.

Literatur

Diaz-Paniagua, C., Andreu A. C. & C. Keller (2006): Effects of temperature on hatching success in field incubating nests of spur-thighed tortoises, Testudo graeca. – Herpetological Journal 16(3): 249-257 oder Abstract-Archiv.

Leuteritz, T. E. J. & R. Ravolanaivo (2005): Reproductive ecology and egg production of the radiated tortoise (Geochelone radiata) in southern Madagascar. – African Zoology 40(2): 233-242 oder Abstract-Archiv.

Galerien