Arrauschildkröte, Podocnemis expansa, ein Schlüpfling – © Camila R. Ferrara

Pantoja-Lima - 2014 - 01

Pantoja-Lima, J., P. H. Aride, A. T. de Oliveira, D. Félix-Silva, J. C. Pezzuti & G. H. Rebêlo (2014): Chain of commercialization of Podocnemis spp. turtles (Testudines: Podocnemididae) in the Purus River, Amazon basin, Brazil: current status and perspectives. – Journal of Ethnobiology and Ethnomedicine 10: 8.

Die Vermarktungskette der Schienenschildkrötenarten, Podocnemis spp. (Testudines: Podocnemididae) am Purusfluss, im Amazonbecken Brasiliens: Derzeitiger Status und die Perspektiven.

DOI: 10.1186/1746-4269-10-8 ➚

Arrauschildkröte, Podocnemis expansa, – © Mario Herz
Arrauschildkröte,
Podocnemis expansa,
ein Schlüpfling
© Mario Herz

Hintergrund: Der Konsum von Schildkröten durch Ureinwohner und Siedler am Amazonas und Orinioco wurde schon häufig untersucht und wissenschaftlich beschrieben. Die jeweils regionalen Konflikte, die sich aus dem Verzehr, den Fischereitraditionen, Erhaltungsprogrammen und den Landesgesetzen sowie deren Umsetzung ergeben, resultieren oft daher, dass sie gegen die Gewohnheiten und Bedürfnisse der Bevölkerung gerichtet sind. Diese Studie wurde entlang des Purusflusses durchgeführt, der dafür bekannt ist, dass dort Schildkröten verzehrt werden und es einen illegalen Schildkrötenhandel gibt. Das Ziel der Studie war den illegalen Handel in Tapaua quantitativ zu erfassen und seine lokale Bedeutung zu verstehen.
Methoden: Diese Studie wurde in der Stadt Tapaua, im Bundesstaat Amazonas, Brasilien durchgeführt. Um den Schildkrötenkonsum zu erfassen, führten wir Befragungen während zwei aufeinanderfolgender Jahre (2006 und 2007) innerhalb der Stadt und in den isolierten Dörfern außerhalb durch. Das experimentelle Design erfolgte randomisiert in Bezug auf die befragten Haushalte. Um den Schildkrötenfang und die Vermarktungskette zu untersuchen, benutzten wir eine Methode die als „Schneeball“ beschrieben ist.
Ergebnisse: Entlang des Purusfluss zeigten die Daten, dass 100 % der Befragten während der beiden Untersuchungsjahre mindestens drei Flussschildkröten (Podocnemis spp.) konsumiert hatten, die häufig im Überschwemmungsgebiet des Purus gefangen werden. Unsere Erhebungen zeigen klar, dass pro Jahr in Tapaua entlang des bedeutendsten Fangflusses innerhalb des Amazonas etwa 34 Tonnen an Schildkröten auf den Markt kommen. Allerdings bleibt bislang unklar, welche Bedeutung der Schildkrötenfang für die natürlichen Schildkrötenpopulationen hat. Es ist zudem offensichtlich, dass der Schildkrötenhandel für die Fischer von Tapaua eine Einkommensquelle ist, die jedoch, da es sich um illegale Geschäfte handelt, in keiner offiziellen Statistik auftaucht, und die auch nicht von den Steuerbehörden erfasst wird. Es wurden mindestens fünf Komponenten der kommerziellen Schildkrötenhandelskette am Prurusfluss aufgezeigt.
Schlussfolgerung: Unsere Ergebnisse ergeben eine konservative Einschätzung der wahren Bedeutung des Schildkrötenkonsums und argumentieren für eine Regulierung, um die Schildkrötenbestände in der Region zu erhalten. Es wird klar, dass die brasilianische Regierung einen Paradigmenwechsel in Bezug auf ihre politische Umsetzung zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen vollziehen sollte und dringend neue Managementprogramme initiieren sollte, die die Verbraucher mit in die Entscheidungen einbeziehen, um dann zu einem besseren Erhaltungsmanagement für die Wasserschildkrötenbestände innerhalb Brasiliens und insbesondere im Amazonasbecken zu kommen.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Arbeit setzt eine längere Reihe von Arbeiten fort, die die Nutzung der südamerikanischen Schienenschildkröten beschreibt. Die Arbeit zeichnet sich durch eine gute Literaturrecherche zum Thema aus, und sie kommt, wie etliche andere Arbeiten auch, zu dem Schluss, dass diese wahrscheinliche Übernutzung der Schildkrötenbestände einer besseren Regulierung bedarf. Allerdings gefällt mir bei dieser Arbeit, dass die Autoren eben auch auf den Einbezug der lokalen Bevölkerung drängen, um zu einem nachhaltigen Management der Bestände zu kommen. Was mir aber bei dieser Arbeit am besten gefällt ist der wirkliche Einbezug der umfassenden Literaturdaten in die Interpretation der Befunde. Ich habe schon viele Arbeiten gelesen, die den Schildkrötenhandel anprangern oder die „Traditionelle Chinesische Medizin“ und deren Schildkrötennutzung „verteufeln“, aber keine dieser Arbeiten hat sich wirklich die Mühe gemacht, die lebensmittelanalytische Literatur zu konsultieren, um zu einem besseren Verständnis der Schildkrötennutzung zu kommen. Nun geht es mir nicht darum, die Schildkrötennutzung schönzureden, denn wir haben heute die Möglichkeiten sie ernährungstechnisch zu kompensieren, aber es ist doch hilfreich die Entwicklungen zu verstehen. Letztere sind ja meist dadurch entstanden, dass unsere jeweiligen Vorfahren rein empirisch feststellten, dass bestimmte Nahrungsmittel vorteilhaft sind. Hier haben die Autoren extra einen Abschnitt eingefügt, in dem sie eben Untersuchungen beschreiben, die zeigen, dass diese Schildkröten 35 Pflanzenspezies selektieren, die wegen ihrer besonderen Gehalte an bestimmten Inhaltsstoffen bekannt sind und sie heben hervor, dass die Schildkröten innerhalb der mineralarmen Regenwaldlandschaft eine wichtige Mineralquelle darstellen. Insbesondere Eisen, Zink, Kupfer und Kobalt gehören neben Magnesium, Kalzium und Phosphor zu den erhöhten Mineralien im Schildkrötenfleisch, wobei das Fleisch von Männchen mehr Kalzium, Kupfer und Phosphor enthält, während bei den Weibchen besonders hohe Werte an Magnesium und Natrium gefunden werden. Nun werden Sie sicher sagen, diese Mineralien gibt es auch im Fleisch von anderen Tieren, aber wie die Autoren hier auflisten, liegt zum Beispiel allein der Kalziumgehalt im Fleisch von weiblichen P. expansa bei 189 mg und bei Männchen bei 242 mg, während die vergleichbare Menge Rindfleisch 7 mg und Hühnerfleisch 12 mg aufweisen. Die Autoren verweisen auch darauf, dass die Haupteiweißquelle immer noch Fisch ist, aber Schildkröten eben als Zusatznahrung diesbezüglich begehrt sind. Ja, und man kann sich angesichts dieser Zahlen sicher leicht vorstellen, dass zumindest früher für eine schwangere Amazonasindianerin Schildkrötenfleisch die Mineraltablette ersetzte, die wir uns heute in der Apotheke oder Drogerie kaufen würden. Insofern sollte man zumindest, ehe man die Schildkrötennutzung zur Ernährung in solchen Gebieten anprangert und strenger regulieren will, dafür sorgen, dass auch alle Bevölkerungsschichten, die davon abhängig sind, eine adäquate Ersatzernährung zur Verfügung haben. Nicht zuletzt lernen wir als Schildkrötenhalter aus solchen Daten auch, dass Schildkröten eben nicht nur erhöhte Mineralwerte im Panzer, sondern anscheinend auch in ihren weichen Anteilen haben, und wohl dann auch brauchen, selbst wenn es sich dabei um Wasserschildkröten aus eigentlich mineralarmen Gewässern handelt, wie die meisten Aquarianer, die südamerikanische Arten pflegen sicher bestätigen können. Siehe auch Kommentar zu Thompson & Henshilwood (2014).

Literatur

Thompson, J. C. & C. S. Henshilwood (2014): Nutritional values of tortoises relative to ungulates from the Middle Stone Age levels at Blombos Cave, South Africa: Implications for foraging and social behaviour. – Journal of Human Evolution 67: 33-47 oder Abstract-Archiv.

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