Galapagos-Riesenschildkröte, Chelonoidis nigra, wird mit einem Apfel aus der Unterkunft gelockt – © Hans-Jürgen Bidmon

Loire - 2013 - 01

Loire, E., Y. Chiari, A. Bernard, V. Cahais, J. Romiguier, B. Nabholz, J. M. Lourenço & N. Galtier (2013): Population genomics of the endangered giant Galapagos tortoise. – Genome Biology 14(12): R136.

Die Populationsgenetik der bedrohten Galápagos-Riesenschildkröte.

DOI: 10.1186/gb-2013-14-12-r136 ➚

Galapagos-Riesenschildkröte, Chelonoidis nigra, – © Hans-Jürgen Bidmon
Galapagos-Riesenschildkröte,
Chelonoidis nigra,
wird mit einem Apfel
aus der Unterkunft gelockt
© Hans-Jürgen Bidmon

Hintergrund
Die Galapagos-Riesenschildkröte, Chelonoidis nigra, ist eine große Landschildkröte, die auf großes öffentliches Interesse stößt. Die Art besiedelte erst in jüngster Zeit den Inselarchipel der Galapagosinseln, wo sie auf neue Umweltbedingungen mit begrenzten Ressourcen traf. Um die genetischen Konsequenzen zu untersuchen, die dieser ökologische Wechsel mit sich brachte, analysierten wir die Variabilität im Transcriptom bei fünf Individuen von C. nigra und verglichen es mit Daten von verschiedenen Schildkrötenspezies des Festlands.
Ergebnisse
Nach der Klärung, wann sich die Gattung Chelonoidis aufspaltete, zeigen wir, dass sich bei C. nigra ein sehr niedriges Maß für genetische Polymorphismen einstellte und es zu Anzeichen für das Fehlen einer reinigenden Selektion kam, wobei sich eine erhöhte Rate an Mutationen innerhalb der kodierenden und bei den regulatorischen Genen einstellte. Diese Befunde stehen im Einklang mit der Hypothese, dass sich bei diesen Inselbewohnern eine extrem niedrige Effektive-Langzeit-Populationsgröße einstellte. Funktionelle Evolutionsanalysen zeigen dabei eine reduzierte Diversität innerhalb der die Immunabwehr regulierenden Gene, was einhergeht mit der Hypothese, dass auf Inseln auch eine reduzierte Vielfalt von Pathogenen (Krankheitserregern) vorliegt. Andererseits kam es zu einem erhöhten selektiven Druck auf die Gene, die für eine Abwehr gegen Umweltstress zuständig sind, also Genen, die den Umgang mit instabilen klimatischen Bedingungen beeinflussen und die die Lebenszeit (Langlebigkeit) beeinflussen. Letztendlich fanden wir bei den von uns untersuchten fünf Individuen auch keine Populationsstruktur oder Homozygosität.
Schlussfolgerungen
Diese Ergebnisse verdeutlichen die molekulare Evolution eines bedrohten Taxons, das in einer von Umweltstress gezeichneten Umgebung lebt und zeigt, dass endemisch auf Inseln beschränkte Spezies gute Modelle darstellen, um die negativen Auswirkungen der genomischen Evolution bei reduzierter Langzeit-Populationsgröße zu analysieren.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Diese Studie adressiert ganz allgemein funktionelle Anpassungen im Genom von diesen inselbewohnenden Schildkröten, wobei es wirklich um die Untersuchung überlebenswichtiger genetischer Parameter geht und nicht um die Gene oder Mikrosatellitenloci, die im Interesse der reinen Taxonomen stehen. Die Befunde, die dabei zutage traten, finde ich auf der einen Seite beruhigend, denn sie zeigen, dass sich zwar auch eine erhöhte Rate an nicht optimalen Mutationen in solchen Populationen ansammeln, dass es aber zumindest bei C. nigra dabei anscheinend während der letzten 700.000 bis 2.000.000 Jahren zu keinen Gendefekten kam, die zum Beispiel zu Carapax- oder Schildanomalien führten (siehe auch Kommentar zu Velo-Anton et al. (2012). Beunruhigend ist jedoch der Befund, dass die genetische Variabilität bei den Genen abnahm, die die Immunabwehr steuern. Letzteres bedeutet ja, dass es solche Spezies schwer haben, sich gegen eine Krankheitserregervielfalt durchzusetzen, wie sie Festlandsarten ausgesetzt sind. Hier zeigt sich eigentlich der gegenteilige Befund zu dem, was von Stiebens et al. (2013) erst jüngst für Meeresschildkröten beschrieben wurde. Somit wird nicht nur für Inseln hervorhegehoben, was passiert, wenn die Konnektivität verloren geht und es lässt sich dementsprechend folgern, dass sich Populationen auf Inseln diesen Konnektivitätsverlust leisten können, dass sich das jedoch in Festlandspopulationen fatal auswirken kann, wenn es nicht zeitgleich auch zu einem Konnektivitätsverlust bei den Krankheitserregern kommt. Ebenso wie sich das natürlich die Einschleppung von für die Galapagosinseln unbekannten Schildkrötenpathogenen katastrophal auswirken kann (siehe auch Kommentar zu invasiven Spezies und Viren (Polo-Cavia et al. 2013).
Auch hier möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass sich letztendlich in Bezug auf die Anpassungsfähigkeit an Parasiten und Krankheitserreger die Hybridisierung positiv auswirkt, da sie den Genfluss hochhält und zur Vererbung und schnellen Ausbreitung von Resistenzgenen beitragen kann und zumindest in unserer eigenen Evolutionslinie dazu beigetragen hat (siehe Huerta-Sánchez et al. 2014, Mendez et al. 2013, Pennisi 2013, Prüfer et al. 2014). Diese Arbeiten zeigen klar, dass ein Teil der Gene, die unser Immunsystem steuern und unsere Behaarung regulieren, vom Neandertaler stammen und, weil sie vorteilhaft waren, erhalten blieben. Ebenso wie sich zeigte, dass die Genveränderungen, die es der tibetanischen Bevölkerung erlauben, hohe Gebirgsplateaus zu besiedeln, von einer anderen ausgestorbenen Menschenspezies stammen. Ob uns als Menschen das geschadet hat, wage ich zu bezweifeln, aber allen, die der Meinung sind Hybriden seien auszumerzen, denen sollte man klar sagen, dass sie nichts Falsches tun, wenn sie bei sich selbst anfangen würden. Denn die Chance auf so genannte „rein-erbige“
Homo sapiens sapiens zu treffen, gibt es laut der Datenlage bestenfalls noch in Zentralafrika. Ja und vielleicht hilft ja auch die Hybridisierung unser weltweites Amphibiensterben zu stoppen, denn einige Arten scheinen ja schon so weit zu sein, dass sie Resistenz vererben könnten (McMahon et al. 2014).
Ich denke, wir beurteilen zu einem Großteil das Evolutionsgeschehen und die heute noch vorzufindenden Arten unter einem statischen, auf die Gegenwart bezogenen Standpunkt, ohne uns die Frage zu stellen – geschweige denn zu beantworten –, wie es diese Spezies geschafft haben, bis in unsere Gegenwart zu überleben, denn sie bzw. ihre Vorfahren hatten auch schon lange vor dem Auftreten des modernen Menschen diese und ähnliche Probleme im Rahmen der Anpassung an sich verändernde Umwelten und an co-evolvierende Pathogene zu meistern. Dass die Umwelt nicht statisch ist, sondern dynamisch, dazu siehe: Richardson (2013).

Literatur

Huerta-Sánchez, E., X. Jin, Asan, Z. Bianba, B. M. Peter, N. Vinckenbosch, Y. Liang, X. Yi, M. He, M. Somel, P. Ni, B. Wang, X. Ou, Huasang, J. Luosang, Z. X. Cuo, K. Li, G. Gao, Y. Yin, W. Wang, X. Zhang, X. Xu, H. Yang, Y. Li, J. Wang, J. Wang & R. Nielsen (2014): Altitude adaptation in Tibetans caused by introgression of Denisovan-like DNA. – Nature. 512(7513): 194-197.

McMahon, T. A., B. F. Sears, M. D. Venesky, S. M. Bessler, J. M. Brown, K. Deutsch, N. T. Halstead, G. Lentz, N. Tenouri, S. Young, D. J. Civitello, N. Ortega, J. S. Fites, L. K. Reinert, L. A. Rollins-Smith, T. R. Raffel & J. R. Rohr (2014): Amphibians acquire resistance to live and dead fungus overcoming fungal immunosuppression. – Nature 511: 224-227; DOI: 10.1038/nature13491 ➚.

Mendez, F. L., J. C.Watkins & M. F. Hammer (2013): Neandertal origin of genetic variation at the cluster of OAS immunity genes. – Molecular Biology and Evolution 30(4): 798-801.

Pennisi, E. (2013): More Genomes From Denisova Cave Show Mixing of Early Human Groups. – Science 340: 799.

Polo-Cavia, N., P. Lopez & J. Martin (2013): Head coloration reflects health state in the red-eared slider Trachemys scripta elegans. – Behavioral Ecology and Sociobiology 67: 153-162 oder Abstract-Archiv.

Prüfer, K., F. Racimo, N. Patterson, F. Jay, S. Sankararaman, S. Sawyer, A. Heinze, Renaud G, Sudmant PH, de Filippo C, Li H, Mallick S, Dannemann M, Fu Q, Kircher M, Kuhlwilm M, Lachmann M, Meyer M, Ongyerth M, Siebauer M, Theunert C, Tandon A, Moorjani P, Pickrell J, Mullikin JC, Vohr SH, Green RE, Hellmann I, Johnson PL, Blanche H, Cann H, Kitzman JO, Shendure J, Eichler EE, Lein ES, Bakken TE, Golovanova LV, Doronichev VB, Shunkov MV, Derevianko AP, Viola B, Slatkin M, Reich D, Kelso J & S. Pääbo (2014): The complete genome sequence of a Neanderthal from the Altai Mountains. – Nature 505 (7481): 43-49.

Richardson, K. (2013): The evolution of intelligent developmental systems. – S. 127-160 Lerner, R. M. & J. B. Benson (Hrsg.): Embodiment and Epigenesis: Theoretical and methodological Issues in Understanding the Role of Biology within Rational Developmental Systems Part A: Philosophical, Theoretical and Biological Dimensions. – (Elsevier Inc. Academic Press)

Stiebens, V. A., S. E. Merino, C. Roder, F. J. Chain, P. L. Lee & C. Eizaguirre (2013): Living on the edge: how philopatry maintains adaptive potential. – Proceedings of the Royal Society, Series B Biological Sciences 280(1763): 20130305 oder Abstract-Archiv.

Velo-Anton, G., C. G. Becker & A. Cordero-Rivera (2012): Turtle Carapace Anomalies: The Roles of Genetic Diversity and Environment. – PLoS One 6(4): e18714 oder Abstract-Archiv.

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