Geierschildkröte, Macrochelys temminckii, – © Dick Bartlett

Folt - 2015 - 01

Folt, B. & C. Guyer (2015): Evaluating recent taxonomic changes for alligator snapping turtles (Testudines: Chelydridae). – Zootaxa 3947(3): 447-450.

Überprüfung der kürzlich erfolgten taxonomischen Änderungen bei der Geierschildkröte (Testudines: Chelydridae).

DOI: 10.11646/zootaxa.3947.3.11 ➚

Geierschildkröte, Macrochelys temminckii, – © Dick Bartlett
Geierschildkröte,
Macrochelys temminckii, © Dick Bartlett

Die Geierschildkröte (Macrochelys temminckii Troost in Harlan 1835, sensu lato) wurde in der Vergangenheit als eine einzige weitverbreitete Art angesehen, bis eine kürzlich erschienene Arbeit von Thomas et al. (2014) ihre Variationen in der Morphologie und bei den mitochondrialen DNS-Sequenzen analysierte und zwei neue Arten der Geierschildkröte Macrochelys beschrieb: Die Apalachicola-Geierschildkröte (Macrochelys apalachicolae Thomas, Granatosky, Bourque, Krysko, Moler, Gamble, Suarez, Leone & Roman 2014) und die Suwannee-Geierschildkröte (Macrochelys suwanniensis Thomas, Granatosky, Bourque, Krysko, Moler, Gamble, Suarez, Leone & Roman 2014). Der spezifische Artname temminckii wurde nur noch den Populationen, die im Flusssystem des Yellow River in Alabama und Florida westlich des San Antonio-Flusses, Texas, leben zugeschrieben. Da die Populationen von Macrochelys früher stark durch den Menschen genutzt wurden (Pritchard 1989) und die Überlebensstrategien von großen, langlebigen Schildkröten sie anfällig für Populationsrückgänge machen (Congdon et al. 1994) bedarf es schon einer guten Abklärung des Artenreichtums zur Erhaltung der Geierschildkröten, insbesondere wenn eine weitverbreitete Spezies anscheinend in mehrere unterschiedliche und kleinräumig verbreitete Arten aufgespalten wird. In dieser hier angeführten Berichterstattung fassen wir das phylogenetische Wissen über Macrochelys zusammen und überprüfen die morphologischen und molekularen Daten, die zur Abgrenzung der drei Arten von M. temminckii (sensu lato) präsentiert wurden. Wir kommen zu dem Schluss, dass die morphologischen Analysen die Thomas et al. (2014) vorlegten nicht ausreichen, um M. apalachicolae-Populationen von M. temminckii (sensu stricto) zu differenzieren, und dass diese neubeschriebene Spezies nicht identifizierbar ist. Diese Argumentation wird zusätzlich gestützt durch eine kürzlich publizierte Analyse über die Schädelformvariationen zwischen Macrochelys-Populationen (Murray et al. 2014). Wir möchten ebenso anmerken, dass Thomas et al. (2014) keine Beweise dafür liefern, die von Echelle et al. (2010) festgestellte nukleär-mitochondriale Unstimmigkeit aufzuklären, die die reziproke Monophylie von M. apalachicolae und M. temminckii (sensu stricto) erklären würde. Unter Berücksichtigung der hier vorgelegten Fakten schließen wir mit der Empfehlung die Taxonomie nochmals zu revidieren. Zudem liefern wir einen Bestimmungsschlüssel für die Spezies der Gattung Macrochelys.

Suwannee-Geierschildkröte, Macrochelys suwanniensis, – © Travis M. Thomas
Suwannee-Geierschildkröte,
Macrochelys suwanniensis,
© Travis M. Thomas

Kommentar von H.-J. Bidmon

Dieser taxonomische Nachtrag zu der von Thomas et al. (2014) vorgenommenen Artaufspaltung legt eigentlich nahe, dass zumindest die Art M. apalachicolae nicht von M. temminckii zu unterscheiden ist und dass selbst die dazu benutzten statistischen Verfahren diese Abtrennung nicht zulassen, da es bei der Anwendung zu Fehlern kam. Ich kann da nur an meinen Kommentar zu Rieppel & Kearney (2007) erinnern. Dennoch möchte ich es mir nicht nehmen lassen darauf aufmerksam zu machen, dass das alles in der Regel sehr subjektive und vom Zeitgeist beeinflusste Einteilungen und Klassifizierungen sind, die mit dem was für das Überleben von natürlichen Populationen wichtig ist wenig zu tun hatte und wahrscheinlich auch zukünftig haben wird. Sicher sind wir es, die Tiere und Pflanzen nutzen und eigentlich dadurch unsere Umwelt verändern, prägen und beeinflussen oder gar zu Neudeutsch „managen“. Sicher mag man meinen, dass man deshalb wissen sollte, womit man was wie tut. Aber wissen wir das wirklich? Liefert uns nicht gerade die Evolution ständig neue Einsichten, die uns eigentlich das Gegenteil zeigen (siehe Kommentar zu Hennessy 2015). Welchen Unterschied sollte es in der Praxis denn machen, wenn es um Populationsschutz, Artenschutz oder gar Rassenschutz geht? Im Grunde genommen brauchen wir dafür keine taxonomischen Aufspaltungen, sondern nur den Willen diese Evolutionslinien zu erhalten und zwar so, dass sie möglichst überlebensfähig bleiben. Und dazu trägt nun mal laut der weitüberwiegenden Mehrheit der wissenschaftlichen Arbeiten ein hoher Genfluss bei der sich sicher auch für M. temminckii wieder einstellen wird, wenn die globale Erwärmung zu Meeresspiegelanstieg und Flusspegelanstiegen in Zukunft führen sollte (siehe Kommentar zu Thomas et al. 2014). Das man selbst als Taxonom oder gar Art-Reinsterhalter in der Herpetologenszene vor so etwas keine Angst haben muss, da es sogar zur Artenneubildung beitragen kann, wurde erst kürzlich wieder unter Beteiligung zweier unser führenden deutschen Herpetologen für die Meerechsen der Galapagosinseln eindrucksvoll belegt (MacLeod et al. 2015).

Literatur

Congdon, J. D., A. E. Dunham & R. C. van Loben Sels (1994): Demographics of common snapping turtles (Chelydra serpentina): Implications for conservation and management of long-lived organisms. – American Zoologist, 34, 397-408.

Echelle, A. A., J. C. Hackler, J. B. Lack, S. R: Ballard, J. Roman, S. F. Fox, D. M. Leslie & R. A. Van Den Bussche (2010): Conservation genetics of the alligator snapping turtle: cytonuclear evidence of range-wide bottleneck effects and unusually pronounced geographic structure. – Conservation Genetics 11(4): 1375-1387 oder Abstract-Archiv.

Hennessy, E. (2015): The Molecular Turn in Conservation: Genetics, Pristine Nature, and the Rediscovery of an Extinct Species of Galapagos Giant Tortoise. – Annals of the Association of American Geographers 105(1): 87-104 oder Abstract-Archiv.

MacLeod A., A. Rodríguez, M. Vences, P. Orozco-terWengel, C. García, F. Trillmich, G. Gabriele Gentile, A. Caccone, G. Quezada & S. Steinfartz (2015): Hybridization masks speciation in the evolutionary history of the Galápagos marine iguana. – Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences 282(1809); DOI: 10.1098/rspb.2015.0425 ➚.

Pritchard, P. C. H. (1989): The Alligator Snapping Turtle: Biology and Conservation. Milwaukee Public Museum. – Milwaukee, 104 pp.

Rieppel, O. & M. Kearney (2007): The poverty of taxonomic characters. – Biology & Philosophy 22(1): 95-113 oder Abstract-Archiv.

Thomas, T. M., M. C. Granatosky, J. R. Bourque, K. L. Krysko, P. E. Moler, T. Gamble, E. Suarez, E. Leone, K. M. Enge & J. Roman (2014): Taxonomic assessment of Alligator Snapping Turtles (Chelydridae: Macrochelys), with the description of two new species from the southeastern United States. – Zootaxa 3786(2): 141-165 oder Abstract-Archiv.

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