Waldbachschildkroete, Glyptemys insculpta, adultes Weibchen in Freilandanlage - © Hans-Jürgen Bidmon

Dubois - 2009 - 01

Dubois, Y., G. Blouin-Demers, B. Shipley & D. Thomas (2009): Thermoregulation and habitat selection in wood turtles Glyptemys insculpta: chasing the sun slowly. – Journal of Animal Ecology 78(5): 1023-1032.

Thermoregulation und Habitatselektion bei Waldbachschildkröten Glyptemys insculpta: Die langsame Jagd nach Sonne

DOI: 10.1111/j.1365-2656.2009.01555.x ➚

Waldbachschildkröte, Glyptemys insculpta, – © Hans-Jürgen Bidmon
Waldbachschildkröte,
Glyptemys insculpta,
Jungtiere in Freilandanlage
© Hans-Jürgen Bidmon

1. Es ist nun weitgehend akzeptiert, dass Reptilien in der Lage sind ihre Körpertemperatur über das Verhalten zu regulieren, aber diese generalisierte Aussage basiert primär auf der Untersuchung von Echsen und Schlangen in warmen Regionen. Weil die Präzision der Körpertemperatur-Regulation bezogen auf einzelne Taxa und die geographische Lage erheblich schwanken kann, sind Studien von semiterrestrischen, in klimatischen Extremzonen lebenden Schildkröten durchaus relevant für das Verständnis der Thermoregulation bei Reptilien.
2. Wir studierten die Thermoregulation bei 21 wild lebenden Waldbachschildkröten (Glyptemys insculpta) an ihrer nördlichen Verbreitungsgrenze in Quebec unter Verwendung von Miniaturdatenaufzeichnungsgeräten zur kontinuierlichen Messung der inneren Körpertemperatur sowie der externen Temperatur. Wir maßen zeitgleich außerdem die operative Umgebungstemperatur (eine lokale Temperatur, die sich je nach Windgeschwindigkeit und Bewuchs verändert) unter Verwendung von 23 physikalischen Modellkörpern, die innerhalb eines jeden Habitats frei beweglich waren. Die Schildkröten wurden mittels der Radiotelemetrie lokalisiert.
3. Das von den Waldbachschildkröten genutzte Habitat war thermisch eingeschränkt, wobei die angestrebte Zieltemperatur nur in einem kleinen Zeitfenster von 5 Stunden an sonnigen Tagen erreicht wurde. Waldbachschildkröten zeigten die Fähigkeit zur Thermoregulation wie sich an Hand der Differenz aus Schildkröten-Körpertemperatur-Verteilung und der Nullverteilung der operativen Umgebungstemperatur ergab, was zeigte, dass die Körpertemperatur nahe an der angestrebten Zieltemperatur liegt. Obwohl die meisten Schildkröten ihre Körpertemperatur zwischen 09.00 h und 16.00 h während sonniger Tage regulierten, war die Art der Regulation ungenau, was sich aus der Berechnung eines Index zur Thermoregulationspräzision (| Körpertemperatur – angestrebte Zieltemperatur |) ergibt.
4. Der Vergleich der Habitatnutzung zur Gesamthabitatverfügbarkeit zeigt eine klare Selektion für offene Habitate. Der mittlere stündliche Stellungswechselindex (| externe Temperatur – Körpertemperatur |) lässt vermuten, dass die Schildkröten den Wechsel von Sonne und Schatten von 09.00 bis 16.00 h nutzten, um ihre Körpertemperatur über die durchschnittliche operative Umgebungstemperatur zu erhöhen.
5. Basierend auf Respirometriedaten aus Laborexperimenten lässt sich nachweisen, dass die Schildkröten damit im Vergleich zur Temperaturkonformität mit der Umgebungstemperatur ihre Metabolismusrate um 20-26 % steigern können, was sehr wahrscheinlich ihren Energiegewinn steigert. Dabei gehen wir davon aus, dass der Energiegewinn innerhalb dieser klimatischen Extremsituation sehr begrenzt ist.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Zugegeben, dieses Abstract ist schwer verständlich für den Laien, weil hier zu sehr auf die Beschreibung komplizierter Messparameter Wert gelegt wurde, anstatt auf eine klare ergebnisbezogene Aussage. Allerdings ist diese Arbeit trotzdem gehaltvoll, denn sie zeigt zum einen, wie sich die innere Körpertemperatur (Messgeräte waren implantiert) zur Carapaxoberflächentemperatur und zur aktuellen Umgebungstemperatur verhält – z. B. liegt die Spannweite der Carapaxtemperatur bei 11,0-44,0 °C, während die innere Körpertemperatur von 9,8-34,5 °C reichte. (Allerdings liegen die Durchschnittswerte mit einer externen Temperatur von 20,3±5,95 °C und einer Körpertemperatur von 18,7±6,0 °C bei dieser nördlich Population deutlich niedriger, woraus man erkennen kann bei welch niedrigen Durchschnittstemperaturen diese Art ihren Stoffwechsel realisiert). Zum anderen zeigt die Arbeit, dass diesen Tieren eine Thermoregulation nur an wenigen sonnigen Tagen möglich ist und dass sie dazu offene, also unbewachsene Bodenstellen finden müssen. Manche Schildkröten plätten sogar die Vegetation, um freie Stellen zu haben. Die Umgebungstemperatur überschreitet häufig nicht die 20 °C Marke, und nachts sowie an bewölkten Tagen ziehen sich die Tiere in den Bach zurück, weil das Wasser immer noch wärmer ist als die Umgebung. Wie die Autoren anmerken, ist das mit ein Grund dafür, warum sich kaum eine Schildkröte weiter als 250 m vom Bach entfernt. Hohe Carapax- und Körpertemperaturen werden an sonnigen Tagen meist nur zwischen 11-15 h erreicht, wobei die Carapaxoberflächentemperatur meist nur kurzfristig auf 35 °C ansteigen kann. Was aber trotz dieser knapp bemessenen Zeit zur Thermoregulation erstaunlich war, ist der Befund, dass die Schildkröten nie an ein theoretisch mögliches Temperaturmaximum und damit mögliches Metabolismusmaximum herangehen – ein Umstand, der auch andere Gründe wie zum Beispiel die Regulation des Wasserhaushalts zur Ursache haben kann. Zudem sollte man auch hier nicht vergessen, dass die Schildkröten auch im Wasser und an bewölkten Sommertagen Metabolismus machen und dass ein Teil der Sonnenbäder nicht nur dem Metabolismus dienen könnte, sondern auch der Vitamin-D-Versorgung. Siehe dazu auch: Castellano et al. (2008) sowie Karsten et al. (2009). Fazit: Wenn man diesen Bericht liest hat man eher den Eindruck hier gehaltene Waldbachschildkröten leiden eher an zu viel Hitze als an zu kühlen ungünstigen Wetterlagen.

Literatur

Castellano, C. M., J. L. Behler & G. R. Ultsch (2008): Terrestrial movements of hatchling wood turtles (Glyptemys insculpta) in agricultural fields in New Jersey. – Chelonian Conservation and Biology 7(1): 113-118 oder Abstract-Archiv.

Karsten, K. B., G. W. Ferguson, T. C. Chen & M. F. Holick (2009): Panther Chameleons, Furcifer pardalis, Behaviorally Regulate Optimal Exposure to UV Depending on Dietary Vitamin D-3 Status. – Physiological and Biochemical Zoology 82(3): 218-225 oder Abstract-Archiv.

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